Augsburger Allgemeine (Land West)
In diesem Koffer sollte ein Kind sterben
Prozess 22-Jährige schloss Neugeborenes kaltblütig ein. In dem Trolley macht die Polizei noch eine grausige Entdeckung
Warum legt eine junge Frau ihre heimlich zur Welt gebrachte Tochter in einen Koffer voller Gerümpel, in dem sich schon das Skelett ihres ersten Kindes befindet? Für Richter Wolfgang Rosenbusch ist der Fall klar: Laura S. wollte ihr Baby töten. „Wir gehen davon aus, dass Sie wussten, dass es sterben würde“, sagt der Vorsitzende der Großen Strafkammer des Landgerichts Hannover zu der Frau mit blondem Pferdeschwanz, die weinend auf der Anklagebank sitzt. Wegen versuchten Totschlags muss die 22-Jährige nach dem am Donnerstag verkündeten Urteil für sechs Jahre ins Gefängnis. Damit gehen die Richter über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus.
Laura S. tupft sich immer wieder mit einem Taschentuch die Tränen aus ihren Augen. In ihrem Schlusswort beteuert sie, sie habe der Kleinen nie etwas Böses tun wollen und sie von Anfang an geliebt. Das nach vier Tagen aus dem Koffer befreite Mädchen lebt heute bei Pflegeeltern. Warum sie das Baby nicht einmal gesäubert hatte, sondern samt Körpersäften und Plazenta in eine Badematte wickelte und im Koffer versteckte, konnte Laura S. im Prozess nicht erklären.
Dem psychiatrischen Gutachter zufolge ist die in bürgerlichen Verhältnissen aufgewachsene junge Frau nicht seelisch krank, hat aber Schwierigkeiten, Konflikte auszutragen. Die Schwangerschaft verheimlichte die angehende Hotelfachfrau vor ihrem 19-jährigen Freund, der noch keine Kinder wollte. Niemand bemerkte etwas, weil sie weiter rauchte, ab und zu Drogen nahm und bei der Arbeit Kisten schleppte. An den Tagen nach der nächtlichen Geburt im Badezimmer ging sie frühmorgens zur Berufsschule oder ins Hotel und kehrte erst am Nachmittag zurück. Der Freund, der in der gemeinsa- Wohnung krank auf dem Sofa lag, hörte das wimmernde Baby am Vormittag des vierten Tages, öffnete in Panik mit einem Besenstiel den Koffer in der Abstellkammer und alarmierte die Polizei.
Im Fall des Baby-Skeletts wurden die Ermittlungen eingestellt, weil nicht mehr zu klären war, ob das erste Kind von Laura S. im Januar 2015 lebend oder tot zur Welt kam. Das Gericht geht aber davon aus, dass es eine Totgeburt war, wie Laura S. dem Psychiater anvertraute. Die junge Frau hatte am ersten Verhandlungstag umfassend ausgemen sagt und Reue gezeigt, einen Tötungsvorsatz aber bestritten. Die Verteidigung, die lediglich eine Bewährungsstrafe gefordert hat, will das harte Urteil anfechten. Die Indizien seien einseitig zum Nachteil der Angeklagten gewürdigt worden, sagt Rechtsanwalt Matthias Waldraff. Laura S. hatte zwischendurch immer wieder nach dem Mädchen geschaut und es vermutlich auch gestillt. Für Rosenbusch widerspricht das nicht dem Tötungsvorsatz.
Das Stillen habe dem Zweck gedient, das Baby ruhigzustellen, damit der Freund nicht durch ein schreiendes, nach Nahrung suchendes Kind aufmerksam wird, sagt der Richter. Von einem minderschweren Fall könne keine Rede sein, wendet sich Rosenbusch an Laura S. „Das Opfer, Ihre Tochter, ist das denkbar schwächste Wesen, was man sich vorstellen kann. Es hatte niemanden außer Ihnen.“