Augsburger Allgemeine (Land West)
Eine Frage der Haltung
Nordische Ski WM Andreas Wellinger und Stefan Kraft liefern sich auch von der Großschanze ein Duell der Extraklasse. Am Ende entscheiden die Preisrichter über Gold für den Österreicher
Andreas Wellinger, der Ruhpoldinger, und Stefan Kraft, der Salzburger, sind eng beieinander. Nicht nur, was die geografische Lage ihrer Wohnorte angeht, sondern seit etlichen Wochen auch in den Ergebnislisten. Heinz Kuttin, Trainer der ÖSV-Skispringer, verriet gestern Abend an der Salpausselkä-Schanze von Lahti mit einem breiten Grinsen, dass man in beiden Teams schon seit längerem Späße mache über Wellinger, der ja fast ein Nordösterreicher sei, und Kraft, den Süddeutschen. Im Duell der Giganten habe einmal mehr das Glück und das letzte „Erzerl“für Kraft entschieden. Kuttin sprach dabei im Kärntner Dialekt vom letzten Quäntchen und interpretierte damit eines der knappsten Entscheidungen, die es in den letzten Jahren bei einem Springen von der WM-Großschanze gab. Die ersten Vier (Kraft, Wellinger, der Pole Piotr Zyla und der Norweger Andreas Stjernen) lagen nur 3,2 Punkte auseinander, weniger als zwei Meter. Gar nur 1,3 trennten den Triumphator Kraft und Verfolger Wellinger, die sich schon am vergangenen Samstag vom kleinen Bakken einen erbitterten Kampf geliefert hatten. Schon damals jubelte Rot-Weiß-Rot, schon damals grinste Schwarz-RotGold zufrieden über Silber.
Weltmeister Kraft war dann auch überglücklich. „Wahnsinn, dass ich das verdient habe. Ich muss echt saubrav gewesen sein in letzter Zeit. Andi ist megastark gesprungen, es war sehr eng“, sagte der fünfte Doppelweltmeister der Skisprunggeschichte, der in Lahti zudem Silber im Mixed gewonnen hat. „Ich habe im zweiten Durchgang einen meiner besten Telemarks gesetzt, die ich jemals gemacht habe.“
Wellinger sprang mit 127,5 Metern und 129 Metern zwar eineinhalb Meter weiter als sein ärgster Widersacher (zweimal 127,5), bekam aber mit 2,9 Zählern deutlich weniger Kompensationspunkte für die wechselnden Winde als Kraft (3,9). So war am Ende alles eine Frage der Haltung. Kraft erhielt von den Wertungsrichtern im entschei- denden letzten Sprung die besseren Noten – was zwar keiner auf den ersten Blick nachvollziehen konnte, aber auch nicht anzweifeln wollte. Mixed-Weltmeister Wellinger strahlte vor Glück über seine dritte Medaille im dritten Sprungwettbewerb, sprach von „Kleinigkeiten, die wieder mal den Unterschied ausgemacht haben, und gestand, dass er vielleicht „ein bisschen steif hingesprungen sei“. Der deutsche Bundestrainer Werner Schuster, als gebürtiger Kleinwalsertaler von jeher ein Grenzgänger, verließ dann doch kurz die Bühne der Diplomatie und stichelte: „Die Kampfrichter haben beim letzten Springer gedacht: Jetzt haben wir noch keine 19,5 verteilt, jetzt müssen wir eine geben.“Erst auf Nachfrage, ob er das Ergebnis denn ungerecht finde, meinte der 47-Jährige: „Nein, es passt schon. Andi hatte ein paar Wackler drin, der Telemark von Kraft ist super sauber.“
Auf dem Weg zur Siegerehrung nahm Wellinger den Champion, mit dem er sich seit dem Weltcup in Willingen Ende Januar ein DauerPunkte duell um Rang eins und zwei liefert, zwar übermütig in den Schwitzkasten, ärgern mochte er sich über das knapp verpasste Gold aber nicht. „Wenn man seinen eigenen Namen hört, auf das Podest drauf darf, und weiß, es ist Silber – das ist ohne Worte, schilderte Wellinger seine Gefühle nach dem Skisprung-Krimi. „Es ist einfach nur geil, wenn man dort oben stehen darf. Dass es so ausgeht, hätte ich vor der WM nie im Leben geglaubt.“
Werner Schuster konnte im Hinblick auf das Teamspringen am Samstag mit dem Rest der Mannschaft nicht zufrieden sein. „Das waren zum Teil erstaunlich bescheidene Sprünge“, sagte er nach den Plätzen 13 für Markus Eisenbichler, 16 für Stephan Leyhe und 19 für Richard Freitag. „Wenn wir so springen, stehen wir neben dem Podest“, unkte Schuster. Sein Trainerkollege Kuttin war da deutlich zuversichtlicher: „Das Doppel-Gold für Krafti haut uns vor. Wir werden mit Deutschland, Polen und Norwegen voll mitfighten.“Da nickte dann sogar Werner Schuster.