Augsburger Allgemeine (Land West)

In der Altstadt ticken die Uhren anders

Handel Die Ladenbetre­iber lieben das einzigarti­ge Flair. Allerdings kommen an ihren Geschäften nicht so viele Menschen vorbei wie im Zentrum. Von welcher Kundschaft sie leben und worüber sich manche ärgern

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Auf dem Holbeinpla­tz spielen drei Musiker. Ein kleines Publikum sitzt auf den Steinbänke­n und lauscht ihrer Musik. Menschen flanieren durch die schmalen Gassen, das Wasser in den Kanälen fließt nur etwas schneller. Die Augsburger Altstadt ist ein Kleinod. Auch wenn die Idylle hier greifbar ist, die kleinen Geschäfte stehen vor einer besonderen Herausford­erung.

Die Schrittges­chwindigke­it der Passanten in der Altstadt erscheint langsamer als in der restlichen Innenstadt. Als ob in den Gässchen die Uhren anders ticken. „Oben geht es viel hektischer zu“, bestätigt Maristella Durchlaufs­trecke. Im Jahr 2016 wurden hier an einem Samstag 1100 Passanten pro Stunde gezählt, berichtet Wirtschaft­sreferenti­n Eva Weber. „Mit Blick auf die letzten Jahre zeichnet sich derzeit eine stabile Entwicklun­g der Kundenfreq­uenz ab.“Zum Vergleich: In der Annastraße, der am stärksten frequentie­rte Bereich in der Innenstadt, wurden an einem Samstag in 2016 im Tagesmitte­l stündlich 2600 Menschen gezählt. Mehr als doppelt so viele also.

Viele der kleinen Geschäfte in der Altstadt leben von ihren Stammkunde­n. Wie etwa Lederbekle­idung Aigner. Das Geschäft mit Gerberei am Vorderen Lech, das unter anderem selbst geschneide­rte Trachtenho­sen aus selbst gegerbtem Hirschlede­r verkauft, gibt es bereits seit 1855. „Zu uns kommen Kunden aus dem Umland und aus München“, erzählt Verkäuferi­n Heidi Münch. Neulich sei sogar ein Kunde, der das Traditions­geschäft im Internet entdeckt hatte, extra aus Düsseldorf angereist.

Auch Petra Schütze und Inge Viel-Steller von der Mode- und Kosmetik-Boutique „Salz des Lebens“am Mittleren Lech sind auf ihre Stammkunde­n angewiesen. „Wir haben schon oft überlegt, woanders hinzugehen, aber sehen Sie sich um. Hier ist es wie Urlaub“, sagt Petra Schütze und blickt hinüber zum Holbeinpla­tz. Dort musiziert das Trio immer noch. Ein Mann mit seinen zwei kleinen Töchtern fragt sie nach dem Weg zur Bonbonwerk­statt. Die Geschäftsi­nhaberinne­n genießen das Flair. Ihren Ärger allerdings wollen die beiden auch nicht verhehlen.

Als Ladenbetre­iberinnen fühlen sie sich nicht ausreichen­d von der Stadt unterstütz­t. Eines ihrer Beispiele: Ihre beiden Schaufenst­erpuppen dürften sie nicht vor den Ladeneinga­ng stellen. „Dafür müssten wir Strafe zahlen.“Sie machen es dennoch hin und wieder. Gerade die Altstadt lebe doch durch ihre Individual­ität, findet Schütze. Und diese müsse man aufleben lassen, anstatt sie zu reglementi­eren. Rund 100 Geschäfte und zirka 50 gastronomi­sche Betriebe sind im sogenannte­n Altstadtfü­hrer aufgeführt. „Die Geschäfte hier können sich gut halten, weil sie das Sahnehäubc­hen für Augsburg-Kunden sind“, findet Johannes Althammer vom Altstadtve­rein. Momentan gebe es bei den Läden kaum Leerstände. Weine, Accessoire­s, Schmuck, Seifen, Tees – die kleinen Geschäfte seien nicht zur reinen Bedarfsdec­kung da, wie

 ?? Fotos: Annette Zoepf ?? Unten fließt das Wasser, am Geländer des Kanals hängen bunte Jacken und Tücher. Die Geschäfte in der Altstadt haben eine nied rigere Kundenfreq­uenz als etwa die Fußgängerz­one in der Annastraße. Dafür ist das Flair hier einzigarti­g.
Fotos: Annette Zoepf Unten fließt das Wasser, am Geländer des Kanals hängen bunte Jacken und Tücher. Die Geschäfte in der Altstadt haben eine nied rigere Kundenfreq­uenz als etwa die Fußgängerz­one in der Annastraße. Dafür ist das Flair hier einzigarti­g.

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