Augsburger Allgemeine (Land West)
Kommen Raser zu glimpflich davon?
Justiz Staatsanwälte und Richter treibt die Frage um, ob schwere Verkehrsdelikte härter bestraft werden müssen. Noch aber fallen Urteile, wie das aus Bremen von gestern, eher milde aus
Bremen/Augsburg
Der Unfall hatte dramatische Folgen für den 13-Jährigen. Am 10. Juni 2016 war er nach der Schule mittags in Bremen mit seinem Rad unterwegs. Bei Grün fuhr er auf den Fußgängerüberweg. Da erfasste ihn das Auto. Der Fahrer, ein 28-Jähriger, hatte die Ampel missachtet. Sie hatte Rot für ihn angezeigt. Er aber war über die Linksabbiegerspur an wartenden Autos vorbei in den Kreuzungsbereich gefahren. Mit Vollgas.
Der 13-Jährige hatte keine Chance, bis zu 15 Meter wurde er durch die Luft geschleudert. Noch heute leidet er an den Folgen des Unfalls, ist schwerbehindert. Zwei Mal musste er am Kopf operiert werden.
Das Landgericht Bremen verurteilte den 28-jährigen Autofahrer gestern zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft wegen fahrlässiger Körperverletzung, Gefährdung des Straßenverkehrs und Fahrerflucht. Seinen Führerschein muss der Mann für drei Jahre abgeben.
Die Staatsanwaltschaft hatte dagegen eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren und neun Monaten für ihn – und zwar wegen versuchten Totschlags, gefährlicher Körperverletzung und Fahrerflucht.
Auch deshalb wurde der Prozess bundesweit stark beachtet. Denn er steht beispielhaft für eine Entwicklung, auf die der Deutsche Richterbund am Donnerstag aufmerksam gemacht hatte. Die Rechtsprechung schaue bei diesen schweren Unfällen mittlerweile genauer hin, ob es Indizien für vorsätzliches Handeln gebe, sagte der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa.
Während früher „fast alle Fälle“wegen fahrlässiger Tötung geführt worden seien, komme inzwischen vermehrt eine Bestrafung wegen Totschlags oder Mordes infrage, so Gnisa. Und damit höhere Strafrahmen. Raser kamen bislang vergleichsweise glimpflich davon.
Gnisa wies allerdings auch darauf hin, dass es derzeit eine große Palette von Urteilen gebe. „Da muss man jetzt zu einer gewissen Vereinheitlichung der Rechtssprechung kommen.“Ein Blick auf spektakuläre Prozesse aus der jüngsten Zeit: ● Am vergangenen Mittwoch wurde ein Taxifahrer in München zu fünf Jahren Haft wegen versuchten Totschlags verurteilt, weil er einen Fußgänger absichtlich überfahren hatte. Der Richter sagte während des Prozesses zu ihm: „Sie haben aus Wut gehandelt und Ihr Auto als Waffe zweckentfremdet.“● Ebenfalls vom Landgericht Bremen wurde Ende Januar ein 24-jähriger Motorrad-Raser verurteilt – wegen fahrlässiger Tötung zu zwei Jahren und neun Monaten Haft. Er hatte im Juni 2016 einen 75-jährigen Fußgänger überfahren, der Mann starb. Der Motorradfahrer filmte regelmäßig seine Fahrten und stellte die Videos ins Internet. Er war ursprünglich wegen Mordes angeklagt. Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt. Der Vorsitzende Richter hatte gesagt: Die Staatsanwaltschaft habe zu Recht die Frage nach Mord oder Totschlag auf den Prüfstand gestellt. Aber: „Wir sehen das in diesem Einzelfall nicht.“● Rechtsgeschichte hat das Urteil des Landgerichts Berlin von Ende Februar geschrieben, indem das Gegefordert richt die beiden „Ku’damm-Raser“zu lebenslänglichen Gefängnisstrafen verurteilte. Wegen „Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung“. Nach dem Urteil wurde Revision eingelegt. Das heißt: Nun muss der Bundesgerichtshof entscheiden. Der Deutsche Richterbund hofft darauf, dass er ein Grundsatzurteil fällt, wie die Justiz mit schweren Verkehrsdelikten künftig umgehen soll.
Im Bremer Prozess, der gestern zu Ende ging, konnte das Gericht keinen Tötungsvorsatz erkennen – was die Voraussetzung dafür gewesen wäre, den 28-jährigen Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu verurteilen. Im Prozess entschuldigte der sich bei der Familie des Jungen. Für Aufregung hatte sein Verhalten nach dem Unfall gesorgt: Da hatte er kurz angehalten und war zu dem blutenden 13-Jährigen gegangen, um den sich bereits mehrere Menschen kümmerten. Als er aber als der Fahrer des Autos erkannt und beschimpft wurde, flüchtete er. Später versuchte er, sein Auto zu verkaufen.