Augsburger Allgemeine (Land West)
„Extrem spannend und vielseitig“
Endokrinologie Die Lehre von den hormonbedingten Krankheiten taucht in der öffentlichen Wahrnehmung nur wenig auf, obwohl sie sich um viele Volksleiden kümmert. Andere Fachgebiete sind bekannter. Ein Experte erklärt, warum
Mainz
Viele Facharztrichtungen sind den Menschen allgegenwärtig: Hausärzte, Urologen, Frauenärzte oder Internisten. Aber Endokrinologen? Die kennen nur wenige. Warum das so ist und weshalb die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) dies ändern möchte, erklärt DGE-Mediensprecher Professor Matthias Weber, Leiter der Endokrinologie an der Universitätsmedizin in Mainz.
Die Endokrinologie als Fachgebiet ist nur wenig bekannt. Woran liegt das?
Vielleicht daran, dass die Endokrinologie ein sehr vielschichtiges Fach ist. Wir haben es nicht nur mit Volkskrankheiten, sondern auch mit vielen seltenen Erkrankungen zu tun, die aufgrund ihrer Seltenheit wenig bekannt sind. Dabei ist die Endokrinologie ja die Lehre von den Hormonen und den hormonvermittelten Krankheiten, die in der Bevölkerung eine große Rolle spielen. Die Endokrinologie ist ein klassisches „Schnittstellengebiet“, das mit anderen Disziplinen eng zusammenarbeiten muss. Gerade bei Volkskrankheiten wie Diabetes, Osteoporose oder Schilddrüsenerkrankungen.
Weber:
In der Informationskampagne „Hormongesteuert?!“Ihrer Fachgesellschaft werden diese drei Erkrankungen als endokrinologische Leiden genannt. Aber Menschen mit Diabetes gehen meist zum Internisten, Osteoporosekranke zum Rheumatologen. Haben es die Endokrinologen versäumt, diese Erkrankungen sozusagen für sich zu reklamieren?
Ja, ein bisschen berufspolitische Selbstkritik ist hier sicher angebracht. Wir haben zu oft aus dem Elfenbeinturm heraus gesagt, dass wir uns bevorzugt mit seltenen Erkrankungen befassen – und dabei verpasst, darauf hinzuweisen, dass wir auch für viele Volkskrankheiten zuständig sind.
Weber:
Wer gerne zu einem Endokrinologen gehen würde, findet aber oft keinen in seiner Nähe, weil es nur wenige gibt. Ist das Fachgebiet für Mediziner nicht attraktiv genug?
Nein, eigentlich ist es ein sehr attraktives Fachgebiet für ärztliche Tätigkeit. Die Endokrinologie ist extrem spannend und vielseitig. Aber es ist in der Tat so, dass wir gewisse Nachwuchsprobleme haben. Die Endokrinologie ist eine mehr sprechende Medizin mit viel Denkarbeit und weniger „Stechen und Schneiden“. Und das wird geringer vergütet als der Einsatz von Technik in anderen Fachgebieten.
Weber:
Welche Erkrankungen gehören aus Ihrer Sicht unbedingt in die Hand eines Endokrinologen?
Bei verbreiteten Krankheiten wie Diabetes oder Osteoporose sollten wir auf alle Fälle hinzugezogen werden, wenn Probleme auftreten oder wenn es spezielle Fragen gibt. Ebenso bei der Behandlung von Schilddrüsenleiden oder bei der Abklärung der männlichen oder weiblichen Hormonachsen. Auch jeder Übergewichtige beispielsweise sollte mindestens einmal endokrinologisch abgeklärt werden. Und auch beim Bluthochdruck gibt es viele Ursachen, die – wenn man sie übersieht – dazu führen, dass der Patient falsch beziehungsweise schlecht behandelt wird. Zudem gibt es eine Vielzahl von hormonaktiven Tumoren, weshalb nicht zuletzt auch die
Weber:
endokrinologische Onkologie eine wachsende Rolle spielt, gerade angesichts der Tatsache, dass immer mehr Therapieoptionen für diese Tumoren verfügbar sind.
Sie haben bereits das Thema Übergewicht angesprochen. Wann kann man davon ausgehen, dass es nicht einfach „angefuttert“ist, sondern eine hormonelle Ursache hat?
Das ist eine schwierige Differentialdiagnose. Oft kann auch der Endokrinologe nicht allein aufgrund des klinischen Erscheinungsbildes beurteilen, was dahintersteckt, sondern er muss weitere Tests machen. Manchmal kann es sich bei der sogenannten Stammfettsucht, also Fettansammlungen vor allem am Bauch, um einen Cortisol-Überschuss handeln, das sogenannte Cushing-Syndrom. Das ist ein Leiden mit hohem Krankheitswert, das so schnell zum Tod führen kann wie eine Tumorerkrankung. Deshalb sollten auch Übergewichtige einmal endokrinologisch abgeklärt werden.
Weber:
Abgesehen von solchen eher seltenen Erkrankungen vermuten ja speziell viele Frauen nach den Wechseljahren, dass ihr Übergewicht hormonell bedingt ist. Zu recht? Gibt es endokrinologische Forschung zum Übergewicht?
Ja, da gibt es sehr viel Forschung – und viele Hormone beispielsweise, die zur Behandlung des
Weber:
Diabetes eingesetzt werden, bewirken auch eine Gewichtsreduktion. Und: In der Tat gibt es eine gewisse altersabhängige Zunahme des Übergewichts. Hormone spielen da sicher eine entscheidende Rolle, aber man muss auch zugeben, dass der Kampf gegen die Epidemie Übergewicht nicht gewonnen ist. Wir haben da keine „Zauberlösungen“, außer für Menschen mit sehr seltenen Ursachen. Um solche Ursachen nicht zu übersehen, sollten die Patienten einmal dem Endokrinologen vorgestellt werden.Wir machen zu diesem Thema viel Aufklärungsarbeit und auch Fortbildungstagungen für Ärzte.
In der Kampagne „Hormongesteuert?!“informiert die DGE über viele wichtige hormonelle Krankheitsbilder, darunter auch den Cortisolmangel. Viele Menschen dürften überrascht sein, dass man von dem Stresshormon auch zu wenig haben kann...
Dass es von einem Hormon zu viel oder auch zu wenig geben kann, ist eine wirkliche Besonderheit. Bei Mangel gibt es klassische Ausfallserscheinungen und klassische endokrinologische Krankheitsbilder. Beispiel Schilddrüse: Wenn sie zu viel Hormone produziert, ist das schädlich – ebenso wie eine verminderte Hormonproduktion. Im Falle des Cortisols kann eine Nebenniereninsuffizienz dazu führen, dass man einen Mangel bekommt– und das ist eine lebensgefährliche Erkrankung. Denn Cortisol ist ein lebenswichtiges Hormon und in vielfältige Stoffwechselprozesse eingebunden. Das ist das Spannende in der Endokrinologie, dass wir so eine Vielzahl von unterschiedlichen Krankheitsbildern haben.
Weber:
Bei welchen Erkrankungen ist der Endokrinologe unverzichtbar?
Bei all den Erkrankungen, die ich genannt habe, ist die endokrinologische Expertise wichtig – und auch bei Volkskrankheiten wie Diabetes, Osteoporose oder Übergewicht, um die Behandlung in die richtige Richtung zu lenken.
Weber:
Schon seit längerem läuft die Informationskampagne „Hormongesteuert ?!“. Was erhoffen Sie sich davon?
Dass die Leute verstehen, wie wichtig Hormone sind, und dass die Endokrinologie ein Fachgebiet ist, das sich spezifisch mit hormonellen Fragestellungen beschäftigt. Und ich hoffe, dass Patienten bei ihrem Hausarzt auch einmal um eine Überweisung zum Endokrinologen bitten, wenn sie meinen, dass das für ihre Krankheit bedeutsam ist.
Interview: Sibylle Hübner-Schroll
Weber: