Augsburger Allgemeine (Land West)
„Spaß musst du dir erkämpfen“
Wir um die 70: Debbie Harry und Chris Stein sind Pop-Legenden – aber was für lebendige! Über Aussehen, Wohlfühlen und Bestäuben
Debbie, Sie sagen im Text der neuen Single „Fun“: „You’re my fun, you pick me up again“. Über wen singen Sie diese Zeile? Debbie Harry: Über niemand Bestimmtes. Ich habe recht viele gute Freunde, männliche wie weibliche, mit denen ich abends wunderbar weggehen und den Alltag vergessen kann. An diese Menschen ist der Song gerichtet.
Haben Sie beim Weggehen so viel Spaß wie eh und je?
Debbie: Hehehe. Doch, danke. Ich glaube, ich habe meine Portion an Spaß. Vielleicht habe ich sogar mehr Spaß, als ich eigentlich sollte.
Wie meinen Sie das?
Debbie: Nun, das kommt natürlich immer auf die Perspektive an. Leute könnten sagen: „Hey, sie ist über 70, sie sollte mal ruhiger werden.“Die Gesellschaft ist es nicht so gewohnt, dass Leute in unserem Alter, Frauen zumal, noch so umtriebig sind. Aber was soll ich sonst mit dem Leben anfangen? Ich hatte immer schon Spaß daran, meine Probleme, Konflikte und Sorgen hinter mir zu lassen und den Moment zu genießen.
Leben Sie so wie die meisten Menschen, die keine 20 oder 30 mehr sind, insgeheim gern leben würden?
Debbie: Das kann ich nicht beantworten. Ich weiß nur, dass viele denken, „Mensch, Debbie Harry, immer gut drauf, sie muss ein Superleben haben“. So schlicht ist es natürlich nicht. Auch ich habe meine Schlachten zu schlagen, das Leben ist kein Rosinenbrötchen. Das heißt: Deinen Spaß musst du dir auch manchmal erkämpfen und erstreiten.
Wo finden Sie Ihren Spaß?
Debbie: Überall. Ich treibe viel Sport, ich gehe gern ins Kino, ins Theater, ich tummele mich auf Partys und auch in Clubs. Na ja, und ich besuche total gerne Chris und seine Familie (lacht).
Im Video lassen Sie im Dance Club wirklich die Sau raus. Entspricht das der Realität?
Debbie: Was glauben Sie denn? Ich liebe es, tanzen zu gehen. Ich liebe das fast mehr als alles andere.
Sie sehen im Video halb so alt aus.
Debbie: Das macht der viele Disconebel (lacht). Ich würde sagen, ich halte mich so weit ganz ordentlich.
Was für Sport treiben Sie? Debbie: Ich habe einen Trainer, wir
machen viel für die Balance, für die Standfestigkeit. Und viele Übungen im Bereich der Achtsamkeit. Für mich funktioniert das sehr gut, ich mache das gerne.
Chris, machen Sie mit?
Chris Stein: Nein, echt nicht. Ich fahre lieber Fahrrad. Ich war mal ein Jahr lang Mitglied in einem Fitnessclub, das hat mir nicht so getaugt.
Das neue Album hört sich frisch und unverbraucht an. Sind Sie froh, dass die ganzen Feierlichkeiten rund um das 40-jährige Bandjubiläum hinter Ihnen sind und Sie sich wieder auf die Gegenwart konzentrieren können?
Chris: Für uns ist tatsächlich jedes neue Album ein kleiner Neuanfang. Zumindest denken wir das. Dieses Mal war uns wichtig, mit der ganzen Band in einem Raum zu sein und ein wirkliches Gemeinschaftsprojekt zu machen. Auf den vorherigen zwei Alben haben wir mehr mit dem Computer gemacht, ich denke, die Leute, und auch wir, wollten den guten, alten Rock ’n’ Roll-Vibe zurückhaben.
Was bedeutet der Begriff „Pollinator“, also „Bestäuber“, als Album-Titel?
Chris: So wie die Bienen hin- und herfliegen und Dinge an einer Stelle sammeln, um sie an eine andere Stelle zu bringen, so bauen wir unsere Musik zusammen. Wir holen uns überall Inspiration und basteln uns unser Blondie-Ding zusammen.
Debbie: Mir ist dieser Titel total spontan eingefallen, als ich am Telefon mit Chris sprach. Ein cooles Wort, oder? Ich dachte irgendwie an Pollen, an den Terminator, an Bienen, na ja, so bekomme ich meine Ideen. Zack, da war dieses Wort. Ich kann das nicht genauer erklären, so was passiert mir einfach manchmal.
Was für ein Tier wären Sie gerne?
Debbie: Oh, was für eine Frage. (lacht): Okay, ich muss nachdenken. Entweder eine Katze oder ein Hund, würde ich sagen. Eine Hauskatze. Ich mag es als Tier gern bequem. Und ich möchte es so gut haben wie meine beiden Hunde. Einer ist sehr jung, der andere ist sehr alt, die beiden verstehen sich wunderbar.
Sie sind gerade zur „Stil-Ikone des Jahres“vom Magazin „Elle“gewählt worden. Ihre Reaktion? Debbie: Ich bin sehr glücklich darüber. Mich überraschen solche Auszeichnungen immer, aber wenn ich mal seriös darüber nachdenke, dann kann ich schon verstehen, wie das zustande gekommen ist. Sehr viele Modedesigner haben über die Jahre Kleidung und ganze Linien entworfen, die auf meinem Look aus den Siebzigern basieren. Sehr viel Ehre gebührt in dieser Hinsicht einem Designer, der leider nicht mehr unter uns ist: Stephen Sprouse hatte mich gewissermaßen aus der Gosse gezogen und mich chic angezogen.
Warum überrascht Sie so was noch?
Debbie: Weil die anderen Künstlerinnen so viel organisierter sind als ich. Die sehen immer perfekt aus, jedes Mal. Ich habe meine freien Tage, ich gehe auch oft komplett ungestylt auf die Straße, das macht man heutzutage glaube ich nicht. Andererseits: Puh, es wäre mir zu stressig, immer das perfekte Makeup aufzulegen und mir Gedanken über meinen Stil zu machen, wenn ich mit den Hunden Gassi gehe. Ich habe auch nicht immer Lust, in den Spiegel zu gucken, bevor ich durch die Haustür gehe. Sich zu viel selbst anzuschauen, ist ungesund.
Hilft nichts, wir müssen über Ihren neuen Präsidenten reden. Wie ist die Stimmung in New York mit Trump. Hat sich der Trubel gelegt? Debbie: Nein, wir stehen alle nach wie vor total unter Spannung. Alle sind sehr, sehr misstrauisch, und das zu Recht. Die neue Regierung ist so sehr rückwärtsgewandt und so sehr auf die Interessen der Großunternehmen ausgerichtet. Für die Natur könnte Trump tödlich sein. Und dieser Isolationismus. Den gab es doch seit vielen Jahrzehnten nicht mehr, wie kann man eine so gestrige Politik machen?
Blondie steht für Diversität, für Toleranz, für Menschenrechte… Chris: Man kann sagen, dass Trump und Blondie sich fürs Erste unversöhnlich gegenüberstehen. Jetzt muss man sehen, ob sich sein Treiben einpendelt, aber die nächsten ein bis zwei Jahre wird es nicht sehr angenehm.
Debbie: Viele Amerikaner schnallen selbst nicht mehr, wofür das Land steht. Die haben keinen geschichtlichen Hintergrund und auch kein Interesse. Die ganze Entwicklung ist fast schon als tragisch zu bezeichnen.
Sollten Sie als Künstler die Leute erziehen? Debbie: Erziehen vielleicht nicht. Aber sie stimulieren, anregen, geil machen, das ist eine Verantwortung, der wir sehr gerne gerecht werden (lacht). Interview: Steffen Rüth