Augsburger Allgemeine (Land West)
Eine Stunde mit
Manchmal hilft nur noch der Jesus
Über eine Tupperparty knüpfte sie erste Kontakte
Dinkelscherben Fleinhausen
Manchmal, in den ganz schweren Stunden, da packt sie ihren Herrgott. Ganz fest umfasst Inge Herz die Gipsfigur, die einen gütigen Jesus zeigt und auf vielen Umwegen zu ihr gekommen ist, ganz fest nimmt sie den Jesus und sagt: „Jetzt hilf mir gefälligst.“Bis jetzt hat es meistens geklappt – bei Fröschen, Flüchtlingen, Kirchenfragen und was das Leben sonst noch so an Überraschungen bereithält.
Es sei nicht so, sagt Inge Herz, dass sie sich all die Aufgaben suche. „Die kommen einfach zu mir.“Ihr Vater sieht das anders. „Du hat ein Helfersyndrom“, sagte er einmal zu seiner Tochter, die sich noch genau an ihre Reaktion auf diesen Satz erinnert: „Und ich hab mir gedacht, na und. Das hab ich schon als Kind gehabt.“
Wie ein Mensch, der anderen bis an die Grenze zur Selbstaufgabe hilft, sieht Inge Herz in diesem Moment nicht aus. Sie sitzt in ihrer schmucken Küche im Dinkelscherber Ortsteil Fleinhausen. Der Edelstahl der Küchengeräte blitzt, der Linoleumboden strahlt im warmen Dunkelrot, überm Küchentisch hängt der Herrgott im Winkel. Eine schwäbische Hausfrau eben, die zufrieden mit Mann Max den Lebensabend genießt, stolz auf zwei Söhne und drei Enkel blickt, über ihr Leben erzählt und sich auf den 70. Geburtstag im Sommer freut. Doch dann sagt sie Sätze wie: „Ich habe keinen Bock, mich zu verbiegen.“Und das vom Landratsamt verhängte Hausverbot für Flüchtlingsunterkünfte sei ihr auch wurscht.
Dazu muss man wissen: Inge Herz gehört zu den Menschen, denen zugetraut wird, kraft ihrer Persönlichkeit besonders für das Augsburger Land zu werben. Sie ist zusammen mit Künstlern, Unternehmern, Wissenschaftler eine von insgesamt 100 Botschaftern des Landkreises Augsburg – und vermutlich die einzige mit Hausverbot in einem Teil der Liegenschaften eben dieses Landkreises.
Herz hatte sich aufgeregt über die Zustände in der inzwischen weitgehend geschlossenen Weldener Flüchtlingsunterkunft und soll dort fotografiert haben – womit sie dann gegen das Hausrecht verstoßen hätte. Die Asylbeauftragte der evangelischen Kirche in Dinkelscherben bestreitet das, letztendlich ist es ihr aber auch nicht so wichtig: „Hauptsache, die Unterkunft ist zu. Sie war eine Schande.“
Wenn es um die Situation vieler Asylbewerber geht, dann wächst in der zierlichen Frau eine riesengroße Wut. Sie legt sich an mit Beamten und fordert den deutschen Innenminister zum Rücktritt auf, weil ein abgelehnter Asylbewerber ins Bürgerkriegsland Afghanistan zurückschickt. Ein schlimmes Erlebnis war für sie der Freitod eines vermutlich psychisch kranken Mannes aus Somalia, den sie betreut hatte. Herz wirft den Behörden Untätigkeit vor, versucht mit einem Buch, sich die Last von der Seele zu schrieben.
„Wenn ich etwas nicht verstehe, rebelliere ich“, sagt die 69-Jährige, die im Allgäu aufgewachsen ist. Ihre Eltern waren aus dem Sudetenland vertrieben worden, als eine von wenigen evangelischen Familien waren sie Außenseiter der zutiefst katholischen Gegend rund um Kempten. Inge Herz empfand das nie als Nachteil: „Für mich war es als Kind trotzdem leicht.“Das kontaktfreudige Kind zog im Dorf umher, half beim Kinderhüten, und auch die fremde Konfession hatte ihren Reiz: Der Schutzengel-Glaube und die Lieder hatten es dem kleinen Mädchen angetan. „Ich hätte auch so gern einen eigenen Engel gehabt.“
Nach der Volksschule ging es an die Berufswahl. Schneiderin oder Kindergärtnerin wäre die junge Inge gerne geworden, „aber das habe ich mich gar nicht getraut zu sagen“. Zu groß war der Respekt vor dem gestrengen Vater. Stattdessen ging es „zum Nestle“, wo sie zu staatlich geprüften milchwirtschaftlichen Laborantin wurde. Was es halt damals so gab im Allgäu.
Ihren Mann Max, einen heute 67-jährigen Kemptener, hat sie 1975 geheiratet. Im selben Jahr zog das Paar nach Dinkelscherben. Der ältere Sohn war fünf, der jüngere kam 1976 zur Welt. Für die junge Frau war der Umzug ein harter Schnitt. Während ihr Mann als Ingenieur bei den LEW arbeitete, saß sie mit den Kindern zunächst isoliert daheim und vermisste die Berge und den See.
Über eine Tupperware-Party knüpfte sie die ersten Kontakte zu Nachbarn, Kindergarten und Schule taten ein Übriges. Erstmals größer in Erscheinung trat Inge Herz, als es darum ging, in Dinkelscherben eine eigene evangelische Kirche zu bauen. Zehn Jahre war sie im Kirchenvorstand, hielt als Lektorin Gottesdienste und unterrichtete Konfirmanden. „Diese zehn Jahren waren für mich unheimlich wichtig.“Sie gingen zu Ende, weil die Chemie mit dem damaligen Pfarrer-Ehepaar nicht stimmte.
Seit den frühen 1980er-Jahren trägt die Bund-Naturschutz-Aktivistin jeden Frühling Kröten über die Straßen, damit die Tiere den Weg zu ihren Laichplätzen überleben. „Solange ich laufen kann, werde ich das machen“, sagt Herz mit einem Lachen, um dann noch einmal auf ihr derzeitiges großes Thema zu sprechen zu kommen: Asyl.
Es begann mit 20 Menschen aus Afrika, die in einem Haus in der Spielangerstraße unterkamen. Herz wollte helfen und hatte bald eine neue Lebensaufgabe am Hals. Sprachunterricht, Rechtsfragen, Jobs, Wohnungen, Herz wurde oft um Hilfe gefragt und half gern. Das hat sich offenbar herumgesprochen. „Ich suche mir die Menschen nicht, sie kommen zu mir“, erzählt sie und sagt, wie sehr sie darunter leidet, dass aus der Integrations- eine Abschiebepolitik geworden sei. „Das ist unser größtes Problem.“
Dabei seien die Asylbewerber doch in erster Linie Menschen, die Hilfe brauchen, sagt die überzeugte Christin. Immer wieder gibt es Berichte über Asylhelfer, die in ihren Heimatorten angefeindet werden. Inge Herz ist das noch nie passiert. Im Gegenteil, gerade aus der evangelischen Gemeinde habe sie von der ersten Minute an große Hilfsbereitschaft erfahren.
Inge Herz ist inzwischen Mitglied im bayerischen Flüchtlingsrat. Dieser setzt sich für Asylbewerber ein, organisiert auch immer wieder Proteste. Kritiker werfen der Organisation vor, politisch ganz links zu stehen und mit umstrittenen Aktionen Öl ins Feuer zu gießen. Herz, die noch nie einer politischen Partei angehört hat, ficht das nicht an. Sie steht auf gegen eine Politik, die sie für grundfalsch und moralisch verwerflich hält.
Und dann gibt es noch die persönlichen Erfolgserlebnisse, die Inge Herz antreiben. Da ist zum Beispiel der junge Mann aus dem Senegal. Asylsuchende aus dem afrikanischen Land haben so gut wie keine Chance auf ein Bleibrecht. Doch der Schützling von Inge Herz durfte bleiben, hat einen Job und wohnt inzwischen bei der Familie in Fleinhausen.
Wie das gekommen ist? Inge Herz lächelt ein bisschen und schaut hinauf zu dem Jesus im Herrgottswinkel.