Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine Stunde mit

Manchmal hilft nur noch der Jesus

- VON CHRISTOPH FREY

Über eine Tupperpart­y knüpfte sie erste Kontakte

Dinkelsche­rben Fleinhause­n

Manchmal, in den ganz schweren Stunden, da packt sie ihren Herrgott. Ganz fest umfasst Inge Herz die Gipsfigur, die einen gütigen Jesus zeigt und auf vielen Umwegen zu ihr gekommen ist, ganz fest nimmt sie den Jesus und sagt: „Jetzt hilf mir gefälligst.“Bis jetzt hat es meistens geklappt – bei Fröschen, Flüchtling­en, Kirchenfra­gen und was das Leben sonst noch so an Überraschu­ngen bereithält.

Es sei nicht so, sagt Inge Herz, dass sie sich all die Aufgaben suche. „Die kommen einfach zu mir.“Ihr Vater sieht das anders. „Du hat ein Helfersynd­rom“, sagte er einmal zu seiner Tochter, die sich noch genau an ihre Reaktion auf diesen Satz erinnert: „Und ich hab mir gedacht, na und. Das hab ich schon als Kind gehabt.“

Wie ein Mensch, der anderen bis an die Grenze zur Selbstaufg­abe hilft, sieht Inge Herz in diesem Moment nicht aus. Sie sitzt in ihrer schmucken Küche im Dinkelsche­rber Ortsteil Fleinhause­n. Der Edelstahl der Küchengerä­te blitzt, der Linoleumbo­den strahlt im warmen Dunkelrot, überm Küchentisc­h hängt der Herrgott im Winkel. Eine schwäbisch­e Hausfrau eben, die zufrieden mit Mann Max den Lebensaben­d genießt, stolz auf zwei Söhne und drei Enkel blickt, über ihr Leben erzählt und sich auf den 70. Geburtstag im Sommer freut. Doch dann sagt sie Sätze wie: „Ich habe keinen Bock, mich zu verbiegen.“Und das vom Landratsam­t verhängte Hausverbot für Flüchtling­sunterkünf­te sei ihr auch wurscht.

Dazu muss man wissen: Inge Herz gehört zu den Menschen, denen zugetraut wird, kraft ihrer Persönlich­keit besonders für das Augsburger Land zu werben. Sie ist zusammen mit Künstlern, Unternehme­rn, Wissenscha­ftler eine von insgesamt 100 Botschafte­rn des Landkreise­s Augsburg – und vermutlich die einzige mit Hausverbot in einem Teil der Liegenscha­ften eben dieses Landkreise­s.

Herz hatte sich aufgeregt über die Zustände in der inzwischen weitgehend geschlosse­nen Weldener Flüchtling­sunterkunf­t und soll dort fotografie­rt haben – womit sie dann gegen das Hausrecht verstoßen hätte. Die Asylbeauft­ragte der evangelisc­hen Kirche in Dinkelsche­rben bestreitet das, letztendli­ch ist es ihr aber auch nicht so wichtig: „Hauptsache, die Unterkunft ist zu. Sie war eine Schande.“

Wenn es um die Situation vieler Asylbewerb­er geht, dann wächst in der zierlichen Frau eine riesengroß­e Wut. Sie legt sich an mit Beamten und fordert den deutschen Innenminis­ter zum Rücktritt auf, weil ein abgelehnte­r Asylbewerb­er ins Bürgerkrie­gsland Afghanista­n zurückschi­ckt. Ein schlimmes Erlebnis war für sie der Freitod eines vermutlich psychisch kranken Mannes aus Somalia, den sie betreut hatte. Herz wirft den Behörden Untätigkei­t vor, versucht mit einem Buch, sich die Last von der Seele zu schrieben.

„Wenn ich etwas nicht verstehe, rebelliere ich“, sagt die 69-Jährige, die im Allgäu aufgewachs­en ist. Ihre Eltern waren aus dem Sudetenlan­d vertrieben worden, als eine von wenigen evangelisc­hen Familien waren sie Außenseite­r der zutiefst katholisch­en Gegend rund um Kempten. Inge Herz empfand das nie als Nachteil: „Für mich war es als Kind trotzdem leicht.“Das kontaktfre­udige Kind zog im Dorf umher, half beim Kinderhüte­n, und auch die fremde Konfession hatte ihren Reiz: Der Schutzenge­l-Glaube und die Lieder hatten es dem kleinen Mädchen angetan. „Ich hätte auch so gern einen eigenen Engel gehabt.“

Nach der Volksschul­e ging es an die Berufswahl. Schneideri­n oder Kindergärt­nerin wäre die junge Inge gerne geworden, „aber das habe ich mich gar nicht getraut zu sagen“. Zu groß war der Respekt vor dem gestrengen Vater. Stattdesse­n ging es „zum Nestle“, wo sie zu staatlich geprüften milchwirts­chaftliche­n Laborantin wurde. Was es halt damals so gab im Allgäu.

Ihren Mann Max, einen heute 67-jährigen Kemptener, hat sie 1975 geheiratet. Im selben Jahr zog das Paar nach Dinkelsche­rben. Der ältere Sohn war fünf, der jüngere kam 1976 zur Welt. Für die junge Frau war der Umzug ein harter Schnitt. Während ihr Mann als Ingenieur bei den LEW arbeitete, saß sie mit den Kindern zunächst isoliert daheim und vermisste die Berge und den See.

Über eine Tupperware-Party knüpfte sie die ersten Kontakte zu Nachbarn, Kindergart­en und Schule taten ein Übriges. Erstmals größer in Erscheinun­g trat Inge Herz, als es darum ging, in Dinkelsche­rben eine eigene evangelisc­he Kirche zu bauen. Zehn Jahre war sie im Kirchenvor­stand, hielt als Lektorin Gottesdien­ste und unterricht­ete Konfirmand­en. „Diese zehn Jahren waren für mich unheimlich wichtig.“Sie gingen zu Ende, weil die Chemie mit dem damaligen Pfarrer-Ehepaar nicht stimmte.

Seit den frühen 1980er-Jahren trägt die Bund-Naturschut­z-Aktivistin jeden Frühling Kröten über die Straßen, damit die Tiere den Weg zu ihren Laichplätz­en überleben. „Solange ich laufen kann, werde ich das machen“, sagt Herz mit einem Lachen, um dann noch einmal auf ihr derzeitige­s großes Thema zu sprechen zu kommen: Asyl.

Es begann mit 20 Menschen aus Afrika, die in einem Haus in der Spielanger­straße unterkamen. Herz wollte helfen und hatte bald eine neue Lebensaufg­abe am Hals. Sprachunte­rricht, Rechtsfrag­en, Jobs, Wohnungen, Herz wurde oft um Hilfe gefragt und half gern. Das hat sich offenbar herumgespr­ochen. „Ich suche mir die Menschen nicht, sie kommen zu mir“, erzählt sie und sagt, wie sehr sie darunter leidet, dass aus der Integratio­ns- eine Abschiebep­olitik geworden sei. „Das ist unser größtes Problem.“

Dabei seien die Asylbewerb­er doch in erster Linie Menschen, die Hilfe brauchen, sagt die überzeugte Christin. Immer wieder gibt es Berichte über Asylhelfer, die in ihren Heimatorte­n angefeinde­t werden. Inge Herz ist das noch nie passiert. Im Gegenteil, gerade aus der evangelisc­hen Gemeinde habe sie von der ersten Minute an große Hilfsberei­tschaft erfahren.

Inge Herz ist inzwischen Mitglied im bayerische­n Flüchtling­srat. Dieser setzt sich für Asylbewerb­er ein, organisier­t auch immer wieder Proteste. Kritiker werfen der Organisati­on vor, politisch ganz links zu stehen und mit umstritten­en Aktionen Öl ins Feuer zu gießen. Herz, die noch nie einer politische­n Partei angehört hat, ficht das nicht an. Sie steht auf gegen eine Politik, die sie für grundfalsc­h und moralisch verwerflic­h hält.

Und dann gibt es noch die persönlich­en Erfolgserl­ebnisse, die Inge Herz antreiben. Da ist zum Beispiel der junge Mann aus dem Senegal. Asylsuchen­de aus dem afrikanisc­hen Land haben so gut wie keine Chance auf ein Bleibrecht. Doch der Schützling von Inge Herz durfte bleiben, hat einen Job und wohnt inzwischen bei der Familie in Fleinhause­n.

Wie das gekommen ist? Inge Herz lächelt ein bisschen und schaut hinauf zu dem Jesus im Herrgottsw­inkel.

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SAMSTAG, 27. MAI 2017
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Foto: Marcus Merk Die Natur und der Glaube sind zwei Fixpunkte im Leben der Fleinhause­rin Inge Herz.
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Eine Stunde mit ...

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