Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Wunderwelt des Streamens
Eigentlich ist es schrecklich: Neulich schon wieder eine Freundin an Netflix verloren. Zugegeben, selber schuld, wenn man Freunden ein Profil auf dem eigenen Account angelegt und ihnen so kostenlos die Wunderwelt des Streamens eröffnet. Das hab ich jetzt davon: Die Freundin ist im Serienfieber und hat jeden Abend ein Date mit Netflix, anstatt mit mir mal wieder essen zu gehen. Dabei kann man nicht einmal böse auf den Neo-Serienjunkie sein, denn das, was da via Internet auf die Bildschirme kommt, ist zum Teil wirklich unfassbar gut. Aufwendig erzählte und gedrehte Geschichten, die Hollywood so in der Länge nicht erzählen könnte. Und neuerdings können die Internetproduktionsfirmen sogar großes Kino. Dass die Streamingdienste mit ihren Produktionen Hollywood Konkurrenz machen, zeigten auch die jüngsten Oscar-Verleihungen. Drei der begehrten Trophäen gingen an Filme von Amazon und Netflix: „Manchester By The Sea“(Bester Hauptdarsteller), „The Salesman“(Bester ausländischer Titel) und „The White Helmets“(Beste Kurzdokumentation).
Da findet gerade eine Revolution in einer Branche statt und man ist vom Sofa aus ein Teil davon. Die Zahl der „Abo-Streamer“steigt kontinuierlich. 98,8 Millionen Abonnenten zählte allein Netflix Anfang des Jahres. Das spült regelmäßig Geld in die Produktionskassen und verspricht neue, spannende Filme, die man sich angucken kann, wann man möchte.
Es gibt aber auch eine Kehrseite der Streamingmedaille. Die Videotheken haben das schon schmerzhaft zu spüren bekommen. Wenn viele Filme so einfach und günstig bis daheim aufs Sofa rieseln und nur exklusiv über Streamingdienste zu sehen sind, muss man doch nicht mehr vor die Tür gehen. Sollten dadurch auch noch die Kinos langsam sterben – das wäre wirklich schrecklich.