Augsburger Allgemeine (Land West)
Sonne, Strand und gähnende Leere
Tourismus Die Türkei war einmal ein Lieblingsland für deutsche Urlauber. Doch allein im letzten Jahr sind die Zahlen um 30 Prozent eingebrochen. Das liegt nicht nur am Terror. Warum Leute wie Yahya Alici nun ein gewaltiges Problem haben
Einer sprach sogar eine Art Reiseboykott aus Im Lager stapeln sich die alten Bestände
Am Preis kann es nicht liegen. Nun wirklich nicht. Eine Woche Türkische Riviera jetzt im Juni, Fünf-Sterne-Hotel, all inclusive, um die 350 Euro pro Person. Ein Schnäppchen nach dem anderen, wenn man wie gestern die Internet-Plattformen durchforstet. Trotzdem kommen sie nicht, die Deutschen. Zumindest nicht mehr so viele wie früher. Zwar immer noch 3,9 Millionen im vergangenen Jahr, aber eben auch gewaltige 30 Prozent weniger als 2015. Wie konnte es so weit kommen?
Die Türkei war doch immer ein Lieblingsland der Deutschen. Guter Service, freundliches Personal, sicheres Badewetter – und eben gute Preise. Die Stiftung für Zukunftsfragen hat herausgefunden, dass Türkei-Urlauber vor Ort im Schnitt 76 Euro am Tag ausgeben. Zum Vergleich: In Spanien sind es 95 Euro, in Italien 99, in Österreich 94, und selbst Reisende innerhalb Deutschlands investieren zwei Euro mehr am Tag. Aber all diese Gründe, vor allem die günstigen Preise, reichen nicht mehr aus. An der Türkischen Riviera genauso wenig wie in Istanbul, dem Magneten für Städtereisende. Fest steht: Der Terror ist nicht der einzige Grund.
„Derzeit liegen wir für 2017 unter den vergleichbaren Vorjahreswerten für die Türkei“, sagt beispielsweise ein Sprecher von DER Touristik über die Buchungsstatistik. Was bedeutet: Der Sinkflug geht weiter. Zwar hat das türkische Tourismus-Ministerium erst kürzlich verkündet, die Zahlen gingen wieder nach oben. Das Plus geht aber vor allem auf das Konto russischer Urlauber.
Und was soll man davon halten, wenn selbst ein langjähriger Touristiker eine Art Reiseboykott für das Land empfiehlt. Jedenfalls löste der frühere TUI-Vorstand Karl Born im März kurz vor der Reisemesse ITB gewaltigen Wirbel mit einem Interview aus, in dem er sagte: „Für mich wäre die Türkei zurzeit das allerletzte Zielgebiet, in dem ich Urlaub machen würde. So demonstrativ gegen Urlaub war ich zuletzt bei Südafrika, während der Apartheid-Politik. Aber bei der Türkei rate ich nun schon seit Wochen von Reisen ab. Vehement, ja sogar sehr vehement!“
Wen wundert es da, dass es in diesen Tagen so unglaublich ruhig ist auf dem Großen Basar von Istanbul, wo einst Gedränge und Geschrei herrschten. Der Strom von Menschen, der seit Jahrhunderten durch den Basar fließt, ist seit den Terroranschlägen des vergangenen Jahres zu einem Rinnsal verkümmert, in dem nur selten ein westlicher Tourist vorbeitreibt. Bewaffnete Wachposten und Metalldetektoren sichern die Eingänge zu dem mittelal- terlichen Marktgebäude. Zwischen den Läden klaffen Lücken, die mit Planen verdeckt sind – überall dort, wo Geschäfte aufgegeben wurden.
In einer Gasse ganz hinten im Basar stehen drei Männer um ein Ladenschild und beraten, wie es aufgehängt werden soll. „Nomad-Art“steht auf dem Schild, der Laden ist eine kleine Teppichhandlung. Eine Neueröffnung? Nein, sagt der älteste der Männer, ein Herr von Mitte Fünfzig im grauen Anzug, der sich als Yahya Alici vorstellt. Er ist der Pächter des Ladens. 25 Jahre lang hat er eine große Teppichhandlung an einer Hauptader des Basars betrieben, erzählt Alici. „Aber weil die Geschäfte so schlecht gehen, kann ich mir die Pacht dort nicht mehr leisten. Deshalb bin ich jetzt in diesen kleinen Laden umgezogen.“
Mit seiner Vielfalt, mit seinen Farben, Gerüchen und dem vielsprachigen Stimmengewirr hat der Große Basar schon immer die Reisenden aus aller Welt angezogen. Eine halbe Million Besucher pro Tag strömten noch vor zwei oder drei Jahren durch den Markt. 3600 Geschäfte, 40000 Quadratmeter, der Basar ist einer der größten überdachten Märkte der Welt.
Doch seit Istanbul 2016 von sechs schweren Terroranschlägen erschüttert wurde, bleiben die Kunden aus. Um fast ein Drittel brach der Tourismus in der Millionenstadt ein, und die Talfahrt geht auch in diesem Jahr weiter. Während sich arabische Besucher nicht abschre- lassen und die Zahl der Russen auch hier sogar steigt, bleiben die westlichen Touristen aus – Deutsche, übrige Westeuropäer und Amerikaner, auf die das Angebot im Basar ausgerichtet ist.
Alicis Verkäufer, Alex und Muzaffer, hantieren immer noch mit dem Ladenschild. Da erspäht Alex eine heranspazierende Kleinfamilie und legt den Hammer weg, um seine Waren anzupreisen. „Hello, just have a look, see my store please“, umschmeichelt er die Besucher. Palästinensische Touristen sind es, wie sich herausstellt, und sie lassen sich in den Laden hineinkomplimentieren. Alex wirft bunte Teppiche und Kissenbezüge auf dem Boden aus und rasselt auf Englisch und Arabisch die Preise herunter. Doch nach kurzer Verhandlung schüttelt die Mutter den Kopf und schiebt ihre Familie zur Tür hinaus.
„Have a nice day“, ruft Alex ihr auf Englisch nach und fügt auf Türkisch leise hinzu: „sans yok“– schon wieder kein Glück. Mit den arabischen Touristen sei einfach kein Geschäft zu machen, klagt der Verkäucken fer, ein stämmiger Mittdreißiger in schwarzer Lederjacke. „Wir handeln mit handgeknüpften Teppichen, aber die verkaufen sich nicht mehr, weil die Europäer und Amerikaner nicht mehr kommen.“Wann er den letzten Teppich verkauft habe? „Ach, ich weiß gar nicht mehr, das ist so lange her, dass ich mich gar nicht erinnern kann“, sagt Alex. „Monate jedenfalls.“
Sechs schwere Terroranschläge in einem Jahr – dass da so viele Touristen Istanbul meiden, verwundert nicht. Zumal die Wirtschaftsmetropole am Bosporus auch vom Putschversuch betroffen war. Und vor allem schreckt die autoritäre Politik von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan seit diesen gewaltsamen Zusammenstößen viele Reisende ab. Aber in den Urlaubsregionen am Mittelmeer beispielsweise ist von all dem bislang nur wenig bis nichts zu spüren. Trotzdem schlagen sich die Ereignisse auf das Bild nieder, das die Deutschen insgesamt von der Türkei haben.
Nach einer repräsentativen Umfrage des Forsa-Instituts schätzen nur zwölf Prozent der Befragten die Türkei als sicheres Urlaubsland ein. Eine ähnliche Meinung haben die Deutschen zu Ägypten. Profiteure sind vor allem Spanien und Griechenland, wo die Buchungszahlen teils kräftig gestiegen sind. Um dem schlechten Ruf entgegenzuwirken, hat das türkische Tourismusministerium gerade eine weltweite Image-Kampagne angekündigt.
Yahya Alici, der Ladenpächter in Istanbul, lässt jetzt erst mal Tee holen, wie es sich gehört auf dem Basar. Auf einem schwingenden Tablett bringt der Teebursche die tulpenförmigen Gläser ins Geschäft und arrangiert sie mit der Zuckerdose auf dem niedrigen Tisch vor dem Besuchersofa. Alici rührt den Tee mit einem zierlichen Löffel um und beginnt zu erzählen. Basarhändler zu sein sei etwas Besonderes, sagt der 55-Jährige. „Wir haben hier ein Ständesystem, das noch aus osmanischer Zeit stammt. In diesem System unterstützen sich die Händler gegenseitig, reichen Kunden einander weiter und helfen sich in der Not. Das ist der alte Lebensstil. Aber der geht wegen dieser Krise langsam verloren.“
Yahya Alici seufzt und rührt in seinem Tee. Der Mann ist Teppichhändler aus Leidenschaft. Als junger Mann hat er zunächst Archäologie studiert und dann eine Lehre bei einem angesehenen Basarhändler gemacht. So werde das Wissen in der Branche von alters her weitergereicht, sagt Alici.
Er winkt seinen Verkäufern und lässt Teppiche bringen. Mit einem gekonnten Knall wirft Muzaffer, der zweite Verkäufer, einen Seidenteppich auf dem Boden aus. „Dies ist ein türkischer Seidenteppich, der hat eine Knotendichte von zehn mal zehn pro Quadratzentimeter“, erläutert Yahya Alici. „Das bedeutet, dass ein Teppichknüpfer eineinhalb Jahre daran gearbeitet hat.“
Um die 15 000 Lira kostet solch ein Teppich. Das waren vor einem Jahr noch etwa 5000 Euro und sind jetzt nur noch knapp 4000. Früher habe er drei bis vier dieser Teppiche am Tag verkauft, erzählt Alici – jetzt vielleicht noch einen im Jahr. In seinem Lager stapeln sich mittlerweile die Bestände vom vorletzten Jahr. Billige Kelims, also gewebte Teppiche, und Kissenbezüge sind das einzige, was noch geht, und das auch nicht oft.
An diesem Tag hat Verkäufer Alex noch einmal Glück gehabt und eine junge Frau aus Chile in den Laden gelotst. Zwei Sofakissenbezüge will Valentina kaufen und handelt Alex mit viel Flirt und Gelächter auf Spanisch und Englisch von 300 Lira auf 100 Lira herunter. „Are you happy?“, fragt Alex zum Abschluss. „I am super happy“, erwidert die Chilenin. Mit einem Wangenkuss besiegelt Alex den Deal, und Valentina zieht glücklich davon.
Alici steckt die 100 Lira ein, die Alex ihm reicht, und seufzt. 30 Prozent unter dem Einkaufspreis liegt dieser Erlös. „Wenn jetzt die Touristen ausbleiben, weil sie hier nicht sicher sind, dann werden wir Teppichhändler schon bald aufgeben müssen“, glaubt Yahya Alici, der sich selbst keine zwei Jahre mehr gibt. „Und der Basar wird nie wieder sein, was er war.“