Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Wut der jungen Russen
Der nationale Feiertag „Tag Russlands“zeigte auf frappierende Weise, wie in Putins Russland Schein und Wirklichkeit auseinanderdriften. Eine wachsende Zahl junger Russen will das nicht mehr akzeptieren. Sie spüren, dass heute ihre Zukunft verspielt wird.
Während Putin im Staatsfernsehen die glorreiche Vergangenheit des Landes beschwört, fordern Demonstranten auf der Straße ein Russland ohne Putin. Sie erleben eine Gesellschaft, die an Korruption erstickt, in der die Justiz längst nicht mehr eigenständig ist und die Demokratie systematisch zurückgedrängt wird. Die herrschende Klasse indessen schwelgt immer schamloser in ihrem wachsenden Reichtum. Die Politik hat sich mit den Oligarchen arrangiert, die sich ihrerseits davor hüten, sich gegen den Kreml zu stellen.
Offiziell hat Putin die Proteste ignoriert. Doch er beobachtet sie genau. Noch fehlt der heterogenen Opposition auf der Straße ein zündender Slogan. Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass aus den Demonstrationen eine für die Regierung bedrohliche Massenbewegung werden könnte. Zweifelhaft ist auch, ob Alexej Nawalny das Format hat, die Gegner des autoritären Systems zu bündeln.
Gleichzeitig aber zeigt die völlig überzogene Reaktion der Sicherheitskräfte, dass der Kreml nervös ist. Putin dürfte ahnen, dass seine Herrschaft in Gefahr geraten könnte, wenn sich die Lebensbedingungen weiter verschlechtern.