Augsburger Allgemeine (Land West)
Thomas Mann auf Kur
Tipp des Tages Doku zeigt Parallelen zwischen heute und dem Anfang des 20. Jahrhunderts
Arte, 22.00 Uhr „Die europäische Idee ist gescheitert“– das ist derzeit häufig zu hören und zu lesen. Eine Krise in Europa gibt es bestimmt – und möglicherweise Parallelen zum Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Um die geht es in der Doku „Sanatorium Europa“, die heute (22.00 Uhr) auf Arte zu sehen ist.
Wie haben die Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse und Thomas Mann auf die Wirren in Europa ab dem Jahr 1900 reagiert? Der Film wirft einen Blick auf diese Frage und folgt den Schriftstellern ins Sanatorium. Die Geschichte spielt dort, „wo die Sensiblen sich hin flüchteten, um ihr Unbehagen an der Zeit zu kurieren“– so heißt es zu Beginn. Also südlich der Alpen, in der reizvollen Seenlandschaft von Oberitalien. Hier ist die Luft rein und das Klima mild – ideal zur Beruhigung der blank liegenden Nerven. Außerdem galt eine Kur als chic. Überall entstanden moderne Heilanstalten, und so quartierten sich die feinen Herrschaften gleich für Wochen oder gar Monate in einem Sanatorium ein.
Die Autorin des Filmes, Julia Benkert, will eine Brücke ins Heute schlagen. Stets geht es um Menschen, die mit ihren Lebensumständen, der Schnelligkeit und den Leistungsanforderungen nicht mehr zurechtkommen. Für Benkert sind Sanatorien ebenso symbolische wie reale Orte, um das Unbehagen der Zeit zu analysieren. Symptome von damals, wie das Ausgebranntsein, gibt es auch heute – mittlerweile heißt es Burn-out. Doch ob die im Film gezogenen Parallelen zwischen damals und heute sich wie die Warnzeichen vor dem nächsten großen Krieg interpretieren lassen, erscheint recht fraglich.