Augsburger Allgemeine (Land West)
Der Blick auf Frauen eint die Extreme
Vortrag Wenn ein Christ mordet, ist er kriminell, ein Muslim hingegen ein Terrorist, sagt Haideh Moghissi. Die Soziologin kämpft gegen antimuslimische Vorurteile und islamistischen Terror
Islam ist Gewalt, primitiv und unlogisch. Haideh Moghissi, neue Inhaberin der internationalen Gastdozentur am Jakob-Fugger-Zentrum, bringt die Bilder auf den Punkt, die sich in den Köpfen der westlichen Gesellschaften festgesetzt haben. Die iranisch-kanadische Soziologin ist eine streitbare Frau, erwartungsgemäß teilt schon ihr erster Augsburger Vortrag nach allen Seiten aus. Unter dem Titel „Islamism, Islamophobia, feminism: Challenges of 21st century“nimmt sie den dschihadistischen Terrorismus, aber auch antimuslimischen Rassismus aufs Korn. Etwa 80 Interessierte folgten dem Referat der emeritierten Professorin der Toronto University, die als Autorin und Feministin bereits seit den 1980er Jahren international bekannt ist.
Wie unterscheidet sich die aktuelle dschihadistische Bedrohung von der Militanz der Roten Brigaden Italiens, der deutschen RAF, der irischen IRA oder der kanadischen Quebec Liberation Army im letzten Jahrhundert? „Die Terroristen von Manchester, London, Berlin und Paris haben keine direkte operative Beziehung zu einer Befehlszentrale“, erklärt Moghissi. Sie handeln autonom, gegen „den Westen“– je mehr Opfer, desto besser. Das und die eigene Todessehnsucht macht die Attentäter unberechenbar und gefährlich. „Zu den IRATerroraktionen gehörte, die Polizei anzurufen, damit Unbeteiligte vor der Explosion evakuiert werden können“, erinnert die Wissenschaftlerin. Dass die Attentäter „Allahu akbar“, Gott ist größer, rufen, statt wie früher „Nieder mit dem Kapital“, ist ebenfalls neu. Sie reklamieren eine Religion für sich. Und nicht nur das. Sie erklären, als Einzige der 1,5 Milliarden Muslime die wahre Religion zu leben.
Die Auswirkungen auf die westlichen Gesellschaften sind enorm. Vor allem Institutionen, die die öffentliche Meinung prägen, sollten sich hüten, sich in diese Falle locken zu lassen, empfiehlt Moghissi. Schnell entstehen islamfeindliche Milieus, die es den Dschihadisten gleichtun: Sie machen den Islam für den Terror verantwortlich. „Aber der Islam ist nichts, worauf wir mit dem Finger zeigen könnten, dafür ist er viel zu komplex“, gibt Moghissi zu bedenken. Die Meilensteine medizinischen Forschung von Ibn Sina (Avicenna) im 13. Jahrhundert oder die Schriften unorthodoxer Gelehrter – davon wollen weder die Terroristen noch die Islamfeinde etwas wissen.
Doch Moghissi wäre nicht Moghissi, wenn sie nicht auch grundlegende feministische Analysen in den Fokus ihres Referats stellen würde. Denn die Frau ist für die Fanatiker beider Seiten das Zentrum islamischer Identität. Sie und ihre äußere Erscheinung sind sowohl für islamistische Terroristen und konservative Muslime als auch für islam- feindliche Hetzer Kennzeichen der Gruppenzugehörigkeit. „Frauen werden von beiden als Erstes angegriffen, das eint die Extreme“, analysiert Moghissi.
An dem gewalttätigen Zorn der Dschihadisten, aber auch an der Wut großer Teile der islamischen Welt habe der Westen selbst erheblichen Anteil. Als in den 1950er Jahren mithilfe des amerikanischen Geheimdienstes die erste demokratische Regierung im Iran geputscht und der – verhasste, tyrannische – Schah wieder installiert wurde, säten die USA einen Wind und ernteten 1979 den Sturm der Islamischen Revolution. Die Revolution dort hatte Auswirkungen auf Afghanistan, Irak und Saudi-Arabien, und auch die Flüchtlingskrise in Europa führt Moghissi auf diese Dauerinterventionen im Nahen Osten zurück. Die Renaissance des Islam ist vor dem Hintergrund dieser fortgesetzten modernen Form der Kolonisierung zu verstehen. Und zwar auch bei der muslimischen Minderheit im Westen.
Zum Schluss greift Moghissi doch noch ihr Lebensthema auf, den sogenannten islamischen Feminismus. Einen solchen gebe es nicht. „Natürlich gibt es muslimider sche Feministinnen. Aber wer glaubt, Islam und Scharia formulierten doch schon die Frauenrechte, wozu noch Feminismus – der hat die universalen Werte und Forderungen der Frauenbewegung nicht verstanden.“
Die Internationale Gastdozentur des Jakob-Fugger-Zentrums will den Austausch zwischen Augsburger Bürgern und der Wissenschaft fördern. Als zentrales Forschungsinstitut der geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten der Uni Augsburg lädt das Zentrum jedes Semester international bekannte Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ein, zu drängenden aktuellen Fragen zu referieren und mit Studenten zu arbeiten. Zuletzt war Mouhanad Khorchide, islamischer Theologe und Professor der Universität Münster, zu Gast. O
Termin Haideh Moghissi spricht mor gen um 18 Uhr in der Universität, Ge bäude H (Jura), Hörsaal 1009 über „Mi gration, integration and belonging at the age of globalization“(auf Englisch). Am 3. Juli ist um 18 Uhr eine Podiums diskussion in deutscher Sprache zum The ma „Gender equality and the Challen ges of a globalized world“im Rokokosaal