Augsburger Allgemeine (Land West)
Den Vorgaben von 1949 nicht unbedingt unterworfen
Recht und Rechtsphilosophie, Uwe Volkmann, ist einer von ihnen. Er erklärt im Internet auf verfassungsblog.de, dass unsere Verfassung „keineswegs als Schrein ewiger Wahrheiten“zu verstehen sei. Was er damit meint: Jegliche Interpretation sei nicht zwangsläufig dem „ursprünglichen Willen des Verfassungsgebers“unterworfen und Abweichung nur dort zulässig, wo gleichsam die Ermächtigung dazu erteilt wurde.
Nehmen wir den einschlägigen Artikel 6 des Grundgesetzes. Dort steht: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“Volkmann bringt zunächst etwas provozierend die Erwägung ins Spiel, dass die Väter des Grundgesetzes mit dieser Formulierung die Ehe für alle in der Tendenz schon 1949 freigegeben hätten, es sei „bislang nur noch nie- mandem aufgefallen“. Der Leipziger Rechtsprofessor Hubertus Gersdorf schrieb am Montag in der beckcommunity, einem Expertenforum im Internet, dem Wortlaut lasse sich nicht entnehmen, „dass mit Ehe im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG nur die Lebensgemeinschaft von Mann und Frau gemeint ist“.
Das Ehegrundrecht, so erklärt es Jurist Gersdorf weiter, sei normgeprägt. Im Gegensatz zu natürlichen Freiheiten gebe es die „Ehe im Naturzustand“nicht. Sie sei vielmehr ein Rechtsinstitut, das erst vom Gesetzgeber geschaffen und ausgestal- tet werden müsse. Und das könnte jetzt entscheidend sein: Im Rahmen der Ausgestaltung, erklärt Gersdorf, sei der Gesetzgeber „nicht an die Werte und Moralvorstellungen gebunden, die in der Geburtsstunde des Grundgesetzes herrschten“. Er spricht von einem dynamischen und entwicklungsoffenen Auftrag an die staatlichen Organe. Was heißt, dass sie auch offen sein dürfen für Veränderungen der gesellschaftlichen Anschauungen und Werte.
Gersdorf nennt ein Beispiel: Früher wurde die Strafbarkeit von Homosexualität für zulässig erachtet, heute sieht man hierin einen Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes. „Dies hat nichts mit einem Verfassungswandel, sondern mit der Offenheit der Verfassung für gesellschaftlichen Wandel zu tun, auf den der Gesetzgeber reagieren darf“, erklärt der Experte. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare sei Ausdruck dieses Regelungsspielraums.
Aber Ehe und Familie stehen doch unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes und sie werden dort in einem Atemzug genannt? Professor Gersdorf wendet ein: