Augsburger Allgemeine (Land West)
In den meisten Familien wird heute weniger geschlagen als früher
Leitartikel Auch wenn aktuelle Zahlen eine hohe Zahl an Gewalttaten gegen Kinder belegt: Die Zeiten sind besser geworden. Und doch gibt es viel zu tun
Helmuts Schellen gibt es für Leon heute nicht mehr
Wer die Rute schont, hasst seinen Sohn – so steht es etwa, je nach Übersetzung, in der Heiligen Schrift. Ein Satz, der bei den meisten Mitteleuropäern heute vermutlich vor lauter Abscheu ein Schütteln auslöst. Ein Satz, an dem sich gut zeigt, wie stark sich die Gesellschaft in puncto häuslicher Gewalt gegenüber Kindern sicherlich gewandelt hat. Die noch vor wenigen Jahrzehnten überall akzeptierte Schellen, wenn Franz, Helmut oder Hans nicht gefolgt haben, bekommen Leon, Kilian oder Simon heute in der Regel nicht mehr. Auch wenn die Deutsche Kinderhilfe, basierend auf Daten der polizeilichen Kriminalstatistik 2016, gestern auf die hohe Zahl von Gewalttaten gegenüber Kindern verwies.
Es ist ohnehin ein Irrglaube, zu denken, dass die Zeiten früher vielleicht einmal besser gewesen wären. Wie schon eingangs ausgeführt, war einst in vielen Familien die Ohrfeige, das „Hintern voll hauen“obligatorisch. Kaum jemand hätte dies der Polizei oder einem Jugendamt gemeldet. Viele Väter der vermeintlich heilen Nachkriegs-Bundesrepublik waren traumatisierte Ex-Soldaten, die oftmals äußerst wenig einfühlsam mit ihrem Nachwuchs umgingen. Wer sich bei den Alten im Familienkreis umhört, erfährt hinter vorgehaltener Hand so manche brutale Geschichte. Und niemand sollte meinen, dass es früher keine Pädophilie, keinen Kindesmissbrauch gegeben hätte. Diese Fälle gelangten nur viel seltener in die Schlagzeilen.
Heute ist das anders. Die Bereitschaft, dem Jugendamt einen Tipp zu geben, wenn in der Nachbarschaft ein Kind ständig verdroschen wird, ist viel größer geworden. Natürlich gibt es dann spektakuläre Fälle, bei denen ein Jugendamt nicht richtig oder zu spät reagiert hat. Doch in den allermeisten Fällen arbeiten die Jugendämter im Netzwerk mit anderen, vielfach auch ehrenamtlichen Institutionen, die um das Kindeswohl bemüht sind, sehr gut – was aber öffentlich leider nicht so sehr wahrgenommen wird.
Der gesellschaftliche Konsens, dass man seine Kinder nicht schlägt, ist inzwischen definitiv viel breiter. Zumal eine Eltern-Generation nachgewachsen ist, von denen viele selbst nicht mehr von ihren Eltern körperlich gezüchtigt wurden. Und: Wer heute noch meint, eine Tracht Prügel schade einem Kind nicht, kann sich ja testhalber mal selbst verprügeln lassen. Um es abschließend noch einmal auf den Punkt zu bringen: Kinder werden in der breiten Masse in Deutschland heute weniger geschlagen als etwa vor 50 Jahren. Das ist eine gute Entwicklung.
Aber Probleme gibt es dennoch reichlich. Wie kommt man etwa dem jungen Vater bei, der auch 2017 noch zuschlägt? Und zwar daheim, wo es niemand mitkriegt? Dafür gibt es kein Patentrezept. Es hilft nur, dass Außenstehende aufmerksam sind, sich ein Herz fassen und einen Vorfall auch wirklich melden. Das Bewusstsein dafür muss noch weiter wachsen.
Auch in der Rechtsprechung. Viele Richter sind heute bereit, den Strafrahmen bei Gewalt gegen Kinder auszunutzen und hohe Freiheitsstrafen auszusprechen. Dieser Kurs sollte weiterverfolgt werden.
Verbleibt ein Phänomen, das es früher tatsächlich nicht gab: internetund smartphonebasierte Darstellungen von Gewalt und Verabredungen zur Gewalt an Kindern. Wie jüngst, als das Pädophilennetzwerk „Elysium“von der Polizei ausgehoben wurde. Fast 90000 Mitglieder hatte es weltweit.
Hier gibt es nur eines: Massive personelle und finanzielle Aufstockung der Ermittlungsarbeit samt internationaler Vernetzung – und dann möglichst alle dieser Verbrecher am Kragen packen.