Augsburger Allgemeine (Land West)
Konzertantes Bühnenweihfestspiel
Saisonfinale Die Augsburger Philharmoniker mit einer Orchester-Sternstunde
Als Sinfoniekonzert-Besucher der Augsburger Philharmoniker hat man sich Mitte Juli von der Spielzeit im Geiste eigentlich schon verabschiedet. Geschlagene zwei Monate liegt der letzte Kongresshallen-Auftritt des Orchesters ja auch zurück. Nun, zum Finale der Abo-Saison, ein Nachzügler. Wie wunderbar: Er bot mit das Beste, was die Philharmoniker in dieser Spielzeit zu bieten hatten.
Zu Beginn des Abends in der gut besuchten Kongresshalle war das noch nicht auszumachen gewesen. Die „Reformationssinfonie“von Felix Mendelssohn Bartholdy – 1830 geschrieben zum 300. Jubiläum des Augsburger Glaubensbekenntnisses – machte den Eindruck, als habe sich Gastdirigent Anthony Bramall selbst den Mantel eines Reformators umgeworfen. Arg unerbittlich trieb er das Orchester voran, kämpferisch wirkten insbesondere die Ecksätze der Sinfonie, gerade so als gälte es, einen Glaubenskampf mit musikalischen Mitteln auszufechten. Gewiss, das hatte auch Vor- teile, rückt es Mendelssohn doch heraus aus dem Ruch des melodieseligen Schönschreibers und verleiht ihm statt dessen sinfonische Kraft. Jedoch blieb bei Bramalls energischer Gangart auch manches unberücksichtigt am Wegrand liegen, wurden Übergänge nivelliert und blieben die Holzbläserschönheiten, die im zweiten Satz eigentlich ihren Charme vorführen, streng verhüllt.
Doch der Ansatz von Bramall – in den 80er Jahren Kapellmeister in Augsburg und aktuell designierter Chefdirigent des Münchner Gärtnerplatztheaters – besaß auch eine Haben-Seite. Immer wieder öffneten sich Einblicke in die Struktur der Sinfonie, in die Laufrichtungen der einzelnen Stimmen. Das galt gerade auch für den Finalsatz, der aus dem Choral „Ein feste Burg“heraus entwickelt ist und den Bramall, energisch Zeichen gebend, denn auch im Gestus eines robusten Glaubensbekenntnisses formulieren ließ.
Im zweiten Teil des Konzerts dann Musik, die wie Mendelssohns Sinfonie ebenfalls auf (im weiteren Sinne) christlicher Thematik fußt, noch dazu verlinkt mit der „Refor- mationssinfonie“durch die hier ebenfalls verwendete tönende Chiffre des „Dresdner Amen“– die Rede ist von Richard Wagners „Parsifal“. Der Komponist Peter Ruzicka hat die drei Vorspiele der Oper sowie weitere Instrumentalabschnitte wie die Verwandlungsmusiken und den „Karfreitagszauber“zu einer sinfonischen Satzfolge arrangiert, die auch ohne die breite Bühnenhandlung in sich stimmig ist, nicht zuletzt, weil Wagners Musik in ihrer motivischen Verflechtung ja stets auch Handlung abbildet.
Immer wieder ein Erlebnis ist es auch, Wagners Musik – und gerade die des „Parsifal“– in ihrer instrumentalen Pracht einmal offen vom Podium herab zu hören und nicht mittelbar aus einem Bühnengraben heraus, schon gar nicht aus einem gedeckelten. Suggestiven Orchesterklang zu erzeugen, ist bei Wagner jedoch bestenfalls die halbe Miete. Die Größe der Musik dieses „Bühnenweihfestspiels“erschließt sich nur, wenn die Aufführung den Themenkreis widerzuspiegeln vermag, den das Werk beschreitet: den ewigen Kreislauf von Schuld, Schmerz, Erlösung. Anthony Bramall verstand sich darauf – fordernd, dämpfend, regulierend, strukturierend. Und er hatte an diesem Montag Abend ein Orchester vor sich, das an der „Parsifal“-Musik zu außerordentlicher Form auflief.
Ein Klangfest schon das Vorspiel zum ersten Aufzug: mystisch dunkel der Beginn, sich festigend und ins Helle steigernd der Fortgang bis zum ersten herb-schönen Trompeten-Lichtstrahl. Alles gelang den Philharmonikern, die Klangbalance der einzelnen Gruppen, die Intonation auch an heiklen Stellen, das seelenvoll bewegte Spiel im Kollektiv (Violinen!), die Vielzahl der solistischen Auftritte bei Blech- wie Holzbläsern. Dass die Klangwirkung der über Lautsprecher verabreichten Gralsglocken dumpf und synthetisch geriet – geschenkt. Dieser „Parsifal“war nichts weniger als eine Philharmoniker-Sternstunde.
Andächtige Stille vor dem Beifall. Und bange fragte man sich, wann man von diesem Wagner-Orchester wohl wieder einmal Wagner zu hören bekommen wird? Im Theater so schnell wohl nicht.