Augsburger Allgemeine (Land West)
Entdecker der Langsamkeit
Sten Nadolny Der ruhmreiche Autor erklärt sich zum 75. Geburtstag
Berlin
Mit der ungewöhnlichen Geschichte des bedächtigen Polarforschers John Franklin wurde Sten Nadolny 1983 auf einen Schlag berühmt: Sein Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“hat sich inzwischen 1,8 Millionen Mal verkauft und ist in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt worden. An diesem Samstag nun wird der Autor, der in Berlin und am Chiemsee lebt, 75 Jahre alt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte Nadolny in einem Glückwunschschreiben einen „Glücksfall für die deutsche Literatur“.
Den Autor schmerzt nach eigenem Bekunden nicht, dass keines seiner Bücher seither auch nur annähernd so eingeschlagen hat wie „Die Entdeckung der Langsamkeit“. Der gebürtige Brandenburger sagt: „Von Latte oder Maßstab kann da keine Rede sein. Für mich ist jedes Buch wieder ganz neu und ganz frisch.“Anfang September wird sein neues Buch „Das Glück des Zauberers“erscheinen – vom Verlag als „großer Roman über das 20. Jahrhundert“angekündigt.
„Es macht mir einfach viel zu viel Spaß, Ideen nachzugehen und Dinge auszuprobieren“, sagt Sten Nadolny. „Deshalb werde ich weiterschreiben, solange es funktioniert und solange ich auch sonst durch den TÜV komme.“Für den Überraschungserfolg der „Entdeckung der Langsamkeit“machte die Kritik seinerzeit Nadolnys kunstvolle Erzählweise und seine „leise, unbeugsame Märchenironie“(Süddeutsche
verantwortlich. Zudem hatte der Autor in der beginnenden Computerära mit ihren rasanten Entwicklungen offenbar den Nerv der Zeit getroffen. Er erzählt – angelehnt an die Biografie des englischen Seefahrers und Polarforschers Franklin (1786–1847) – von einem Menschen, der mit seiner verzögerten Auffassungsgabe aus dem gesellschaftlichen Raster fällt. Doch mit Ausdauer, Hartnäckigkeit und Geduld macht der Antiheld aus seiner vermeintlichen Schwäche eine Tugend: Mehrmals kann er seine Mannschaft auf gefahrvollen Reisen in die Arktis vor dem Tod bewahren.
Zumindest für seine eigene Arbeit hat der Autor das Prinzip der Langsamkeit auch in der Praxis umgesetzt: Das einst nachfolgende Werk, der unterschiedlich bewertete Zeitroman „Selim oder Die Gabe der Rede“, ließ sieben Jahre auf sich warten. 1994 kam dann noch „Ein Gott der Frechheit“hinzu, 1999 „Er oder ich“. Nach drei, vier weiteren Veröffentlichungen erschien 2012 Nadolnys persönlichster Roman, „Weitlings Sommerfrische“– nun von der Kritik wieder mit viel Lob aufgenommen.
„Alle meine Bücher sind sehr stark unterfüttert von Sachen, die ich selbst erlebt habe“, sagt Nadolny, „von meinen Geheimnissen, die ich aber zwecks literarischer Verwertung