Augsburger Allgemeine (Land West)
Die wundersame Kraft der Kräuter
Brauchtum An Mariä Himmelfahrt spielen die Pflanzen eine besondere Rolle. Sie sollen vor Blitzschlag und Unwetter schützen
Landkreis Augsburg
Mariä Himmelfahrt, das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel, das am 15. August gefeiert wird, ist das höchste und wohl auch das älteste Marienfest in Bayern. Verbunden mit dem kirchlichen Fest ist an diesem Tag seit jeher der Brauch der Kräuterweihe, der seit dem 10. Jahrhundert nachgewiesen werden kann. Am 15. August bringen die Gläubigen Kräuterbüschel, im Volksmund „Weihsung“oder „Weihbuschel“genannt, zur Kirche, um sie dort segnen zu lassen.
Ein Brauch, der schon viele hundert Jahre alt ist, wie Volkskundeprofessor Dr. Walter Pötzl, ehemaliger Kreisheimatpfleger im Landkreis Augsburg, weiß. Die Zusammensetzung dieser oft kunstvoll gestalteten Sträuße, so Pötzl, variierte von Landstrich zu Landstrich, entsprechend der regionalen Vegetation. Die einzelnen Bestandteile holte man schon am Vorabend des Marienfestes zusammen. Die Buschen entwickelten sich im Laufe der Zeit zu wahren „Statussymbolen“für die Höfe, sie konnten gar nicht groß und üppig genug sein. Meist ragen aus der Mitte des Kräuterbüschels die gelbleuchtende Wetter- oder Königskerze oder der samtbraune Rohrkolben des Schilfgrases heraus. Diese sind umgeben von den reifen Ähren des Getreides sowie von allerlei Nutz- und Heilkräutern.
Frühere Generationen wählten die Kräuter und Heilpflanzen, die in die „Weihsung“gebunden wurden, mit großer Sorgfalt aus. Ihre Zahl betrug meist sieben oder neun, in manchen Gegenden gar 33 oder 99. Die Zahlenmagie spielte eine große Rolle, „heilige Zahlen“, die sogenannte Dreiheit der Dreiheiten, wurden strikt eingehalten. Die häufigsten Kräuter, die in unserer Gegend im Weihbuschl Verwendung fanden, waren Johanniskraut, Tausendguldenkraut, Kamille, Schafgarbe, Rainfarn, Bandgras, Wermut, Baldrian, Pfefferminze, der Haselzweig und Eisenkraut. Von dieser strengen Auswahl ist man in der heutigen Zeit abgekommen. Viele Heilkräuter sind von den intensiv bewirtschafteten und künstlich gedüngten Wiesen ohnehin verschwunden, bedauert Walter Pötzl. Die heutigen Weihbuschel zeichnen sich vielmehr durch ihre Farbenpracht aus. Nach der kirchlichen Weihe fanden die Kräuterbuscheln ihren Platz auf dem Dachboden, unter dem Vordach oder am Hauseingang. Nach altem Volksglauben sollten sie Haus und Hof vor Blitzschlag und Unwettern schützen. Ging ein besonders schweres Gewitter über dem Dorf nieder, dann pflückte die Bäuerin einige Blumen und Kräuter aus dem getrockneten Strauß und warf sie in das Herdfeuer. Überliefert ist auch der Brauch, ein neu in den Stall aufgenommenes Stück Vieh mit Kräutern aus dem Weihbuschl, die zwischen zwei Brotscheiben gelegt werden, zu begrüßen. Auch wenn eine Kuh oder ein Pferd erkrankt war, mischte die Bäuerin einige Kräuter aus der „Weihsung“unter das Futter, um die Genesung des Viehs zu beschleunigen. In einigen Gegenden Bayerns legten sich die Eheleute in paar Kräutlein ins Bett und versprachen sich davon beständiges Eheglück. Darüber hinaus ist auch überliefert, dass in früheren Zeiten Teile des Weihbuschels den Toten in den Sarg mitgegeben wurden.
Mit Mariä Himmelfahrt beginnt der „Frauendreißigst“, die rund 30 Tage dauernde Zeit bis 12. September, dem Fest Mariä Namen. Er erinnert übrigens an die 30-tägige Trauerzeit nach einer Beerdigung. Der 15. August ist darüber hinaus ein alter „Lostag“, ein Tag, an dem gelost, also etwas über die Zukunft, etwa über das Wetter oder das Glück in der Liebe, erfahren werden konnte. »Region Augsburg