Augsburger Allgemeine (Land West)
Warum Ganztag mehr als Betreuung ist
Unterricht In gebundenen Angeboten lernen Kinder in ihrer Klasse bis in den Nachmittag hinein. Warum das an den Schulen im Augsburger Land aber bislang nur selten ist und welche Unterschiede es bei den Schularten gibt
Landkreis Augsburg
Wenn Kinder den ganzen Tag in ihrer Klasse gemeinsam mit ihren Lehrern aus den Kernfächern lernen, dann kann das zur sozialen Gerechtigkeit in der Bildung beitragen. Das sagt unter anderem die jüngste Studie der Bertelsmann-Stiftung zur Bildung. Und davon ist auch die SPD-Landtagsabgeordnete Simone Strohmayr überzeugt. Um so mehr ärgert es sie, dass die Zahl der „echten“, nämlich der gebundenen Ganztagsangebote, im Landkreis Augsburg stagniert, bei den Realschulen sogar leicht zurückgeht. Dort besuchten im vergangenen Jahr 4,2 Prozent der Kinder und Jugendlichen solch eine Klasse. Am geringsten ist die Zahl jedoch an einer anderen Schulart: Nur 1,9 Prozent der Gymnasiasten gehen in eine Ganztagsklasse.
In Neusäß am Justus-von-LiebigGymnasium werden diese knapp zwei Prozent erst seit diesem Schuljahr überhaupt erreicht. 26 Schülerinnen und Schüler einer fünften Klasse lernen seit vergangener Woche auch nachmittags zusammen. Dass der Ganztag nur schleppend ausgebaut wird, sieht Strohmayr vor allem in der Verantwortung der Staatsregierung, die sich bei diesem Thema nicht bewege. Anders war das in Neusäß. Dort hat die Schulleitung schon seit zwei Jahren versucht, solch eine gebundene Ganztagsklasse einzurichten – allerdings waren zuvor nicht genügend Familien bereit, ihre Kinder dort auch anzumelden. Das könnte sich aber in Zukunft weiter verändern, glaubt Direktorats-Mitarbeiterin Birgit Schöffler. Denn immer mehr Eltern seien Ganztagsangebote bereits aus der Grundschule gewohnt und würden so in das Thema reinwachsen.
An den Realschulen spricht die komplette Schulorganisation in einem Punkt gegen das Modell gebundene Ganztagsklasse, erklärt die Zusmarshauser Schulleiterin Heidrun vorm Walde. Ab der siebten Klasse gibt es vier unterschiedliche Zweige. Will man da sinnvolle Ganztagsklassen bilden, dann geht das nur bei ganz vielen Schülern. In diesem Jahr hat es erstmals seit vielen Jahren nicht mehr geklappt. „Wir müssten für eine gebundene Ganztagsklasse entweder die Eltern überreden, sich für einen bestimmten Zweig für ihre Kinder zu entscheiden oder starke Abstriche am Angebot für die anderen Schüler machen. Beides wollten wir nicht“, so vorm Walde. Der Rückgang in der Schülerzahl sei eben auch demografisch begründet. Wenn es Familien aber vor allem um die Betreuung ihrer Kinder am Nachmittag gehe, dann stünde ihnen auch der offene Ganztag zur Verfügung, so vorm Walde.
Der ist auch an der Realschule Meitingen stark gefragt. Dort sieht Konrektorin Helena Rigatos das Po- tenzial im Ganztag bei jährlich 70 bis 90 Schülern von insgesamt mehr als 900 – auch im ländlichen Raum. Der Unterschied der offenen zur gebundenen Form liegt vor allem darin, dass in der offenen Betreuungsform Kinder aus unterschiedlichen Klassenstufen pädagogisch, aber nicht von ihren Fachlehrern betreut werden. Zudem gibt diese Form den Familien Flexibilität, weil Kinder auch nur an einzelnen Wochentagen angemeldet werden können.
Allein in Stadtbergen werden Grundschulkinder im westlichen Landkreis in gebundenen Ganztagsklassen unterrichtet, weitere Klassen gibt es in Königsbrunn, Schwabmünchen und Bobingen, teilt das Schulamt für den Landkreis Augsburg mit. Hingegen gebe es nach Auskunft der Regierung von Schwaben im Landkreis aber überdurchschnittlich viele Grundschulen mit offenen Ganztagsangeboten, so in Horgau und Fischach. Ganze 35 von 218 Mittelschulklassen im Augsburger Land sind gebundene Ganztagsklassen, dort werden knapp 650 Jugendliche unterrichtet.
Die Eltern schätzen vor allem den gesicherten Qualitätsrahmen des Angebots, so Schulrätin Aloisia Wiedenmann. Das scheint jedoch bei den Jugendlichen selbst nicht immer so zu sein. Gerade ab der siebten Klasse geht die Zahl der gebundenen Ganztagsklassen in den Mittelschulen stark zurück, weil sich die Jugendlichen nicht mehr an den vorgegebenen Zeitrahmen binden wollten.
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