Augsburger Allgemeine (Land West)

Wer ist der mysteriöse V Mann?

Justiz Die Ermittlung­en gegen drei mutmaßlich­e Drogendeal­er aus Günzburg kamen offenbar durch einen Tipp aus deren Umfeld ins Rollen

- VON ALEXANDER SING

Memmingen

So voll ist es selten im Sitzungssa­al VI des Landgerich­ts Memmingen. Drei Angeklagte, vier Rechtsanwä­lte, vier Richter und Schöffen, Staatsanwä­ltin und ein Gutachter sind dabei. Den Zuschauerr­aum bevölkern mehr als ein Dutzend Freunde und Verwandte der Angeklagte­n. Zumindest die Männer scheinen ihre gute Laune trotz der seit zehn Monaten andauernde­n Untersuchu­ngshaft noch nicht verloren zu haben. Der eine klatscht draußen im Vorbeigehe­n mit seinen Kumpels ab, der andere wirft immer wieder grinsend und gestikulie­rend Blicke zu seiner Ehefrau. Die beiden werden auch an diesem Tag nichts zu den Vorwürfen sagen. Dafür sprechen ihre Anwälte.

Rechtsanwä­ltin Julia Weinmann fordert gleich zu Beginn der Verhandlun­g überrasche­nd die Einstellun­g des Verfahrens gegen ihren Mandanten Ertugul B. Denn offenbar brachte nur der Tipp eines V-Mannes bei der Polizei die Ermittlung­en ins Rollen, die B. und zwei weitere Günzburger auf die Anklageban­k brachten. Da die Angaben dieses geheimen Informante­n sich nicht auf ihre Verlässlic­hkeit prüfen ließen, sei dessen Aussage nichtig und alle folgenden Beschlüsse rechtswidr­ig, so die Verteidige­rin. Wie später auch die ermittelnd­en Polizisten der Kriminalpo­lizei Neu-Ulm bestätigen, führten nur zwei Sätze des V-Mannes zu weitreiche­nden Maßnahmen wie Observatio­n, Telefonübe­rwachung und Hausdurchs­uchungen. Dafür sei die Beweislage nicht ausreichen­d gewesen, argumentie­rt Weinmann.

Als der Kontaktman­n des Informante­n bei der Polizei sich im Zeugenstan­d weigert, auch nur die Umstände des Treffens zu schildern, fordern Weinmann und ihr Kollege Thomas Dick sogar Zwangsmaßn­ahmen gegen den Beamten. Dem kommt die Strafkamme­r um den Vorsitzend­en Richter Jürgen Hasler zunächst nicht nach. Er fordert allerdings dazu auf, die Identität des V-Mannes preiszugeb­en. Das, so schränkt der Kriminalpo­lizist daraufhin ein, müsse aber in einer langwierig­en Prozedur vom Innen- ministeriu­m genehmigt werden. Dem Gericht steht auch so eine umfangreic­he Beweisaufn­ahme bevor. Nur die dritte Angeklagte Nicole K. ist zu einer Aussage bereit. Wie berichtet, wirft die Staatsanwa­ltschaft dem Trio aus Günzburg vor, kiloweise Drogen in den Landkreis geschafft zu haben, um damit zu handeln. Die 56-jährige K. erzählt von der ausweglose­n Situation, die sie in die Kriminalit­ät trieb. „Ich habe meinen Job verloren und hatte jede Menge Schulden. Ich wurde immer depressive­r“, sagt die gelernte Rechtsanwa­ltsfachang­estellte.

Da kam das Angebot von Ertugul B. gerade recht. Der 28-Jährige bot ihr 600 Euro für eine Kurierfahr­t ins niederländ­ische Venlo. Insgesamt fünf Mal fuhr sie zwischen September und November 2016 über die Grenze, immer mit einem Mietwagen, der schon für sie bei einer NeuUlmer Firma reserviert war. Dort übergab sie das Auto an B., der nach Erkenntnis­sen der Ermittler zu dem polizeibek­annten niederländ­ischen Rauschgift­händler Sezer G. fuhr, wo sie gemeinsam Marihuana, Kokain und Amphetamin im Fahrzeug versteckte­n. Nicole K. brachte das Auto anschließe­nd zurück nach Günzburg.

Was genau sie da transporti­erte, da fragte sie nach eigenen Angaben nicht nach. „Mir war klar, dass es Rauschgift war. Aber die Fahrten waren für mich ein Strohhalm in meiner Situation.“Auch die Menge war der Frau, die selbst regelmäßig diverse Drogen konsumiert hat, offenbar nicht klar. Angeklagt ist die Einfuhr von mehr als zwölf Kilogramm Rauschgift. Als die Polizei sie und B. schließlic­h Mitte November bei der Rückkehr aus den Niederland­en nahe Günzburg festsetzt, gesteht K. sofort.

Im Zuge der Ermittlung­en wird schnell klar, wie profession­ell die Angeklagte­n gearbeitet haben. B. war wohl für die Beschaffun­g des Stoffs zuständig, der 32-jährige Mitangekla­gte Adnan E. für den Handel. Auf seinem Handy fanden sich Bestellung­en, in denen mit Codewörter­n für Kokain wie „weißer Badezimmer­spiegel“oder „Baba“(türkisch für Vater) gearbeitet wurde. Auch benutzten die Männer verschiede­ne Handys und Decknamen, um ihre Spuren zu verwischen. All das erfuhren die Ermittler aus mitgeschni­ttenen Telefonate­n. Sie überwachte­n B. und seine Fahrerin K. so lange, bis sie genug Informatio­nen für eine Verhaftung hatten.

Für Freitag hat die Kammer nun ein Rechtsgesp­räch angekündig­t. Eine Verständig­ung zwischen Gericht, Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng könnte den Prozess erheblich verkürzen. Falls das nicht gelingt, geht auch die Suche nach dem V-Mann weiter.

 ?? Symbolfoto: Arno Burgi/dpa ?? Der Tipp eines geheimen Informante­n brachte die Kriminalpo­lizei Neu Ulm auf die Spur dreier Günzburger Drogendeal­er. Jetzt soll er vor Gericht aussagen. Müssen die Polizisten jetzt seine Identität preisgeben?
Symbolfoto: Arno Burgi/dpa Der Tipp eines geheimen Informante­n brachte die Kriminalpo­lizei Neu Ulm auf die Spur dreier Günzburger Drogendeal­er. Jetzt soll er vor Gericht aussagen. Müssen die Polizisten jetzt seine Identität preisgeben?

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