Augsburger Allgemeine (Land West)
Wer ist der mysteriöse V Mann?
Justiz Die Ermittlungen gegen drei mutmaßliche Drogendealer aus Günzburg kamen offenbar durch einen Tipp aus deren Umfeld ins Rollen
Memmingen
So voll ist es selten im Sitzungssaal VI des Landgerichts Memmingen. Drei Angeklagte, vier Rechtsanwälte, vier Richter und Schöffen, Staatsanwältin und ein Gutachter sind dabei. Den Zuschauerraum bevölkern mehr als ein Dutzend Freunde und Verwandte der Angeklagten. Zumindest die Männer scheinen ihre gute Laune trotz der seit zehn Monaten andauernden Untersuchungshaft noch nicht verloren zu haben. Der eine klatscht draußen im Vorbeigehen mit seinen Kumpels ab, der andere wirft immer wieder grinsend und gestikulierend Blicke zu seiner Ehefrau. Die beiden werden auch an diesem Tag nichts zu den Vorwürfen sagen. Dafür sprechen ihre Anwälte.
Rechtsanwältin Julia Weinmann fordert gleich zu Beginn der Verhandlung überraschend die Einstellung des Verfahrens gegen ihren Mandanten Ertugul B. Denn offenbar brachte nur der Tipp eines V-Mannes bei der Polizei die Ermittlungen ins Rollen, die B. und zwei weitere Günzburger auf die Anklagebank brachten. Da die Angaben dieses geheimen Informanten sich nicht auf ihre Verlässlichkeit prüfen ließen, sei dessen Aussage nichtig und alle folgenden Beschlüsse rechtswidrig, so die Verteidigerin. Wie später auch die ermittelnden Polizisten der Kriminalpolizei Neu-Ulm bestätigen, führten nur zwei Sätze des V-Mannes zu weitreichenden Maßnahmen wie Observation, Telefonüberwachung und Hausdurchsuchungen. Dafür sei die Beweislage nicht ausreichend gewesen, argumentiert Weinmann.
Als der Kontaktmann des Informanten bei der Polizei sich im Zeugenstand weigert, auch nur die Umstände des Treffens zu schildern, fordern Weinmann und ihr Kollege Thomas Dick sogar Zwangsmaßnahmen gegen den Beamten. Dem kommt die Strafkammer um den Vorsitzenden Richter Jürgen Hasler zunächst nicht nach. Er fordert allerdings dazu auf, die Identität des V-Mannes preiszugeben. Das, so schränkt der Kriminalpolizist daraufhin ein, müsse aber in einer langwierigen Prozedur vom Innen- ministerium genehmigt werden. Dem Gericht steht auch so eine umfangreiche Beweisaufnahme bevor. Nur die dritte Angeklagte Nicole K. ist zu einer Aussage bereit. Wie berichtet, wirft die Staatsanwaltschaft dem Trio aus Günzburg vor, kiloweise Drogen in den Landkreis geschafft zu haben, um damit zu handeln. Die 56-jährige K. erzählt von der ausweglosen Situation, die sie in die Kriminalität trieb. „Ich habe meinen Job verloren und hatte jede Menge Schulden. Ich wurde immer depressiver“, sagt die gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte.
Da kam das Angebot von Ertugul B. gerade recht. Der 28-Jährige bot ihr 600 Euro für eine Kurierfahrt ins niederländische Venlo. Insgesamt fünf Mal fuhr sie zwischen September und November 2016 über die Grenze, immer mit einem Mietwagen, der schon für sie bei einer NeuUlmer Firma reserviert war. Dort übergab sie das Auto an B., der nach Erkenntnissen der Ermittler zu dem polizeibekannten niederländischen Rauschgifthändler Sezer G. fuhr, wo sie gemeinsam Marihuana, Kokain und Amphetamin im Fahrzeug versteckten. Nicole K. brachte das Auto anschließend zurück nach Günzburg.
Was genau sie da transportierte, da fragte sie nach eigenen Angaben nicht nach. „Mir war klar, dass es Rauschgift war. Aber die Fahrten waren für mich ein Strohhalm in meiner Situation.“Auch die Menge war der Frau, die selbst regelmäßig diverse Drogen konsumiert hat, offenbar nicht klar. Angeklagt ist die Einfuhr von mehr als zwölf Kilogramm Rauschgift. Als die Polizei sie und B. schließlich Mitte November bei der Rückkehr aus den Niederlanden nahe Günzburg festsetzt, gesteht K. sofort.
Im Zuge der Ermittlungen wird schnell klar, wie professionell die Angeklagten gearbeitet haben. B. war wohl für die Beschaffung des Stoffs zuständig, der 32-jährige Mitangeklagte Adnan E. für den Handel. Auf seinem Handy fanden sich Bestellungen, in denen mit Codewörtern für Kokain wie „weißer Badezimmerspiegel“oder „Baba“(türkisch für Vater) gearbeitet wurde. Auch benutzten die Männer verschiedene Handys und Decknamen, um ihre Spuren zu verwischen. All das erfuhren die Ermittler aus mitgeschnittenen Telefonaten. Sie überwachten B. und seine Fahrerin K. so lange, bis sie genug Informationen für eine Verhaftung hatten.
Für Freitag hat die Kammer nun ein Rechtsgespräch angekündigt. Eine Verständigung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung könnte den Prozess erheblich verkürzen. Falls das nicht gelingt, geht auch die Suche nach dem V-Mann weiter.