Augsburger Allgemeine (Land West)
Horgauer entscheiden über die Zukunft ihres Orts
Meinung Warum es beim Bürgerentscheid am Sonntag um mehr geht als ein paar Wohnhäuser
Am Sonntag gibt es in Horgau zum ersten Mal einen Bürgerentscheid. Etwa 2100 Menschen sind dazu aufgerufen, über die Zukunft einer 1,7 Hektar großen Fläche an der Greuter Straße abzustimmen. Das Augsburger Bauunternehmen Deurer will dort neun Wohnblöcke (davon zwei als Betreutes Wohnen) und sechs Reihenhäuser bauen – insgesamt etwa 85 Wohneinheiten. Eine Bürgerinitiative lehnt das ab. Ihr Hauptargument: Die Gebäude seien zu groß und zu hoch. Für die direkten Nachbarn sind das bestimmt wichtige Gründe. Aber bei dem Bürgerentscheid geht es um mehr. Es geht um die Frage, wie der Ort in Zukunft aussehen wird. Und wer dann dort leben wird.
Deurer will Eigentümer der geplanten Häuser und Wohnungen bleiben und sie vermieten. Ja, auch auf dem Land braucht es Miet- Viele junge Familien und Alleinerziehende können sich kein eigenes Häuschen leisten, Singles oder Pärchen reicht eine Wohnung oft aus. Doch es geht nicht nur um junge Leute: Etliche Ältere können oder wollen sich nicht mehr um ihr großes Haus mit großem Grundstück kümmern. Sie schaffen die Arbeit nicht mehr allein, Familienangehörige sind nicht in der Nähe. Diese Senioren würden gern in eine barrierefreie Wohnung ziehen, in der sie weiterhin selbstständig leben können. All diesen Menschen bleibt oft nur der Umzug in die Stadt, weil es auf dem Land kaum Mietwohnungen gibt. In der Stadt allerdings wird die Nachfrage immer größer – und die Mieten werden immer teurer.
Auf dem Land ist dagegen Platz für solche Wohnanlagen – oft sogar in der Ortsmitte. Denn in vielen stehen alte Höfe leer: Bauern geben ihre Landwirtschaft auf oder es findet sich kein Nachfolger, wenn sie sterben. Häufig liegen die Hofstellen jahrelang brach und verfallen. Wer soll da noch einziehen? Dann bleibt nur der Abriss. Auch die Hofstelle, um die es im Bürgerentscheid geht, stand lange leer. Nun gibt es die Chance, das Areal zu gestalten und zu beleben.
Die Kommunen sind auf Investoren angewiesen. Allein werden sie dem Wohnungsmangel nie ausreichend begegnen können. Und es ist ja nicht so, dass in Horgau nun eine Hochhaus-Siedlung entstehen würde. Im Bebauungsplan-Entwurf sind Gebäude mit Erdgeschoss, erstem Stock und ausgebautem Dach sowie Gebäude mit zwei Obergeschossen und flachem Satteldach vorgesehen. Sie würden also nicht viel höher werden als die Häuser drum herum. Auch dass die Hälfte der Wohnungen öffentlich gefördert sein sollen, braucht nicht abzuschrecken. Wer sich zum Beiwohnungen. spiel eine ähnliche Anlage von Deurer auf dem Augsburger ReeseAreal ansieht, der ahnt nicht, dass es sich hier um Sozialwohnungen handelt. Die Ausstattung der Häuser ist gut, die Anlage ansprechend, es gibt einen gemütlichen grünen Innenhof mit Spielplatz.
Ein solches Wohnquartier würde Horgauergreut natürlich verändern. Die Frage ist aber, wie lange das die Alteingessesenen überhaupt verhindern können. Mit seiner Nähe zur Autobahn und zu Augsburg hat Horgau einfach eine attraktive Lage. Das hat sich auch schon am Neubaugebiet am Heuwegfeld gezeigt, wo es viermal so viele Interessenten wie Bauplätze gab. Sicherlich wäre auch die Nachfrage nach den neuen Wohnungen groß – von Einheimischen und Auswärtigen.
Deurers Konzept sieht vor, dass in der neuen Wohnanlage ganz unterschiedliche Menschen zusammen leben sollen: Ein Teil der Wohnungen soll an Menschen mit gerinStraßen gem Einkommen vermietet werden. Und auch für Menschen mit Behinderung wäre die Anlage geeignet, denn sie soll barrierefrei sein. Stichwort: Inklusion. Das ist übrigens nicht nur eine nette Idee, es ist ein Menschenrecht. Die Behindertenrechtskonvention ist zwar in Deutschland 2009 in Kraft getreten; doch dass Menschen mit Behinderung wirklich an unserer Gesellschaft teilhaben, davon sind wir an vielen Stellen noch weit entfernt. Das inklusive Wohnen in Horgau kann da Vorbild für andere Orte sein und Antworten auf viele weitere Fragen geben, die sich aus demografischem Wandel, Urbanisierung, Wohnungsmangel und Inklusion ergeben. Es kann Grenzen überwinden. Und zwar nicht nur zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Auch zwischen Bewohnern verschiedener Herkunft, zwischen Einheimischen und Fremden, zwischen Jungen und Alten. Sie alle können dort ein neues Zuhause finden. Wenn die Horgauer es zulassen.