Augsburger Allgemeine (Land West)
Online Einkauf unter falschem Namen Kleidung, Schuhe, Spielzeug, Windeln und mehr
Prozess Ein Paketzusteller erbeutete in der Region Waren im Wert von über 5000 Euro. Warum der 38-Jährige gerade noch einer Haftstrafe entging und die Kripo weiter ermittelt
In den letzten Jahren ist es bundesweit zu einem kontinuierlichen Anstieg der Zahlen von Bestellbetrug gekommen – eine Entwicklung, die parallel zum Boom bei den Online-Versandhändlern zu sehen ist. Möglicherweise werden solche Betrügereien – meist Bestellungen mit falschen Namen, Adressen und Unterschriften – in einigen Fällen sogar auch bandenmäßig organisiert. Die Augsburger Kriminalpolizei ermittelt derzeit gegen mehrere Tatverdächtige. Angeblich soll es sich bei ihnen um Rumänen handeln, die als selbstständige Fahrer für ein großes Logistikunternehmen arbeiten und „nebenher“eigene unerlaubte Geschäfte abwickeln. Polizeisprecher Michael Jakob wollte sich zu Zahl und Verfahrensstand gestern wegen der noch laufenden Ermittlungen allerdings noch nicht konkreter zu den Fällen äußern.
Dass Bestellbetrug kein Einzelfall ist, hat diese Woche bereits ein Prozess vor dem Augsburger Amtsgericht gezeigt: Ein Paketzusteller ist dabei offenkundig knapp einer Haftstrafe entgangen. Der 38-Jährige hatte mit Nachnamen und Adresse von Menschen, deren Wohnorte auf seinen regelmäßigen Routen als Paketfahrer lagen, immer wieder bei einem bestimmten Versandhändler eingekauft: Kleidung, Schuhe, Kinderspielzeug, Windeln – alles im Gesamtwert von über 5000 Euro. Trafen die Pakete zur Auslieferung bei ihm ein, bestätigte der Zusteller deren Auslieferung an den Kunden mit gefälschter Unterschrift. Und behielt die Waren bei sich. Es dauerte, wie im Prozess deutlich wurde, erstaunliche drei Jahre, bis die raffi- Masche des 38-Jährigen aufflog. Immer wieder hatten sich Bürger bei der Polizei in Augsburg und vor allem im Landkreis AichachFriedberg gemeldet, weil ihnen der Versandhändler wegen der ausbleibenden Bezahlung der Rechnung mit rechtlichen Schritten drohte. Erst da wurde offensichtlich, dass jemand im Namen der Betroffenen Waren bestellt hatte.
Der angeklagte Rumäne zeigte sich vor dem Amtsgericht geständig, wenn auch zunächst sehr zögerlich. Über seinen Verteidiger Jörg Seubert gab er 51 Betrugsfälle zu. Was der Staatsanwältin jedoch nicht genügte. Nach ihrem Hinweis, ohne ein vollständiges Geständnis müsse er mit einer Gefängnisstrafe rechnen, wurde der Angeklagte dann aber doch gesprächiger. Wie er sagte, kursierte unter Fahrerkollegen der Tipp, wie man im Versandhandel kostenlos einkaufen könne. Etwa die Hälfte der von ihm bestellten Waren will der Angeklagte für sich und seine Familie behalten haben. Ein Abnehmer sei auch sein Bruder gewesen, der die Sachen demnach in der Heimat Rumänien weiter verkauft hat.
Die Polizei sieht im Warenwirtschaftssystem des Online-Versandhandels Sicherheitslücken. Wie im Prozess ein Zeuge aussagte, überprüfen manche Händler die Adressen von Bestellern nur automatisch, andere schalten dafür Fremdfirmen ein. Oft muss die Ware auch erst nach ihrer Auslieferung bezahlt werden, da „nur“eine Rechnung mitgenierte schickt wird. Firmen räumen den Käufern mitunter bis zu einem Monat Zeit dafür ein. Der Angeklagte ist 2014 mit Ehefrau und zwei kranken Kindern aus Rumänien nach Augsburg übersiedelt – aus wirtschaftlicher Not. Nach seinen Angaben hatte er trotz Abitur dort monatlich nur 250 Euro verdient. Nach seinem Geständnis muss der Paketzusteller, anders als von der Staatsanwaltschaft gefordert, nicht ins Gefängnis. Das Gericht beließ es bei einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren. Außerdem machte es dem Verurteilten zur Auflage, den verursachten Betrugsschaden in monatlichen Raten von 100 Euro zu erstatten. Was ihn also gut vier Jahre beschäftigen wird.