Augsburger Allgemeine (Land West)
Ausspannen mit Blick aufs Rathaus
Grüne Oasen Zwei Ehepaare genießen ihre Terrassen über den Dächern der Stadt. Manchmal tragen sie sogar den Weinkühlschrank nach oben. Aber nur, wenn etwas Besonderes ansteht
Manchmal winken sich die beiden Ehepaare zu. Es sind Luftgrüße über die Dächer Augsburgs hinweg. Sowohl Birgit und Erwin als auch Elke und Toni haben in der Altstadt ihre eigenen Dachterrassen mit tollen Ausblicken. Doch einem Ehepaar passierte es, dass die schöne, freie Sicht auf die Kirche St. Ulrich zugebaut wurde.
Vier Jahre hatten Birgit und Erwin nebenan Baustelle. Dort wurde ein neues Haus hochgezogen. Es war eine Zeit, in der sich die beiden wegen Lärm und Schmutz nicht oft auf ihrer Dachterrasse aufhielten. „Darum habe ich dieses Jahr auch nicht viel angepflanzt“, sagt Birgit. Der bislang freie Blick auf St. Ulrich ist durch den Neubau verschwunden. Dort steht jetzt eine Hauswand. Die Augsburgerin sieht das Positive: „Dafür zieht es hier oben nicht mehr so. Es ist geschützter“. Das Rathaus allerdings ist nach wie vor zu sehen, ganz zu schweigen von der weiten Sicht bis nach Friedberg. Das Ehepaar, das wie die Nachbarn keinen Nachnamen in der Zeitung lesen möchte, genießt diese Blicke. Dabei habe sie sich früher gar nicht vorstellen können, mal in der Innenstadt zu leben, sagt die 55-Jährige.
Als die Kinder noch klein waren, wohnte die Familie im Spickel und hatte ein 2000 Quadratmeter großes Grundstück. „Ich war der Gärtner“, erzählt der 67-Jährige. „Ich bin nie im Garten gelegen, ich habe darin nur gearbeitet.“Seit 14 Jahren schon genießen sie es, auf der 50 Quadratmeter großen Dachterrasse oder auf ihrem zehn Quadratmeter großen Balkon mit dem original Wiener Landbrunnen zu sitzen. Dort muss auch kein Rasen gemäht werden. Aber Birgit hat schon genaue Vorstellungen, wie ihre durch den Neubau veränderte Dachterrasse bald aussehen wird: „Weil wir hier jetzt etwas eingeschlossen sind, werde ich die Terrasse wie einen toskanischen Innenhof gestalten“.
Ein paar Meter Luftlinie weiter zur Dachterrasse des Ehepaars Elke und Toni. „Ich weiß noch genau, wie ich hier oben als Kind der Kinderfrau die Wäscheklammern gereicht habe“, sagt Elke. Es ist ihr Elternhaus, in dem sie und ihr Mann wohnen. Schon lange trocknet Elke ihre eigene Wäsche hier oben über den Dächern. „Ich habe zwar einen Trockner, aber ich finde Wäscheaufhängen schön.“Und überhaupt, es gehe auch nicht darum, wie in einem Katalog zu wohnen, es müsse auch praktisch sein. „Bei uns darf auch wachsen, was anfliegt oder durch die Vögel hergetragen wird.“Auf dem Freisitz mit Rundumblick stehen der große Tisch und der Sonnenschirm im Mittelpunkt. Darum reihen sich bemalte Töpfe und Baukübel mit verschiedenen Pflanzen und Kräutern. Die Terrasse wirkt bunt und freundlich. „Ich bin keine Perfektionistin“, sagt Elke. „Das Wichtigste für uns ist die Freiheit hier oben.“
Herrlich sei es auf ihrer Dachter- rasse, schwärmt Ehemann Toni. „Wir haben hier auch oft Gäste.“Gerade an Silvester, wenn die Aussicht auf die Feuerwerke ringsum ein Traum sei. Bei viel Besuch schleppt der Augsburger dann auch mal den Weinkühlschrank hoch. Ausgefallen ist der zusätzliche Winherum tergarten, ein Giebeldach aus Glas. „Wenn im Winter die Sonne scheint, haben wir 15 bis 20 Grad.“Bei Gewitter sei es unter dem Glasdach besonders schön. Das Ehepaar hat ein Ritual: Abends von oben einen Blick auf die beleuchteten Türme der Ulrichskirche und von St. Moritz sowie auf das illuminierte Rathaus zu werfen. Und manchmal auch den Nachbarn zuwinken.