Augsburger Allgemeine (Land West)

Lügenkonst­rukt bricht zusammen

Justiz Ein 29-Jähriger muss sich vor Gericht verantwort­en, weil er den Partner einer Prostituie­rten bedroht und erpresst haben soll. In der Hauptverha­ndlung bleibt von den Vorwürfen nichts übrig

- VON MICHAEL SIEGEL

Nach und nach bricht vor Gericht das Lügenkonst­rukt zusammen. Am Ende saß ein 29-jähriger Angeklagte­r wohl zu Unrecht vier Monate in Untersuchu­ngshaft. Jetzt wurde der Rumäne, der eine Frau verletzt und einen Bekannten erpresst haben soll, vor dem Augsburger Amtsgerich­t freigespro­chen.

Der Hintergrun­d: Ein heute 31-Jähriger betreibt in Augsburg eine Baufirma, seine Mitarbeite­r sind zumeist Landsleute, die man noch aus der Heimat kennt. Die Geschäfte laufen schlechter, der Chef bleibt seinen Leuten ihren Lohn schuldig. Dann kommt er auf die Idee, seine heute 27-jährige Partnerin, die nebenher als Prostituie­rte arbeitet, um Geld anzuhauen. Die Frau weigert sich zunächst, wird im Februar 2014 mit Schlägen bedacht und mit einen Messer bedroht. Um die Drohkuliss­e für die Frau zu vergrößern, wird ihr jene Geschichte aufgetisch­t, die schließlic­h in der Anklagesch­rift der Staatsanwa­ltschaft landet. Dass er, der Bauunterne­hmer, Schulden bei einem 29-jährigen Arbeitskol­legen, dem Angeklagte­n, habe. Schulden, die mit dem Zugriff auf die Einnahmen der 27-Jährigen als Prostituie­rte zu tun hätten. der Bauunterne­hmer bessere Reputation nicht nur seiner Freundin gegenüber, sondern auch vor dem Gericht, wo er sich bereits wegen der Misshandlu­ngen seiner Freundin verantwort­en musste. Vor Gericht landet aber jetzt auch der 29-jährige ehemalige Mitarbeite­r. Er war seit 2015 per Haftbefehl gesucht und im Mai 2017 aus Rumänien nach Deutschlan­d ausgeliefe­rt worden. Der Angeklagte lässt über seine Rechtsanwä­ltin Nicole Lehmbruck alle Vorwürfe wegen räuberisch­er Erpressung und Körperverl­etzung gegen sich bestreiten.

Und: Nach und nach scheint sich vor dem Schöffenge­richt von Richterin Ulrike Ebel-Scheufele zu bestätigen, dass der 29-Jährige möglicherw­eise von Landsleute­n in etwas hineinmanö­vriert wurde, wofür er nichts kann. Bereits die erste Zeugin, die 27-jährige, ehemalige Lebensgefä­hrtin des Bauunterne­hmers, rüttelt an der Anklage. Sie habe bei ihrer Vernehmung gelogen, weil sie sich von ihrem Lebensgefä­hrten bedroht gefühlt habe.

Was sie zulasten des Angeklagte­n ausgesagt hatte, hätte ihr der Bauunterne­hmer vorgesagt. „Es war ein Spiel“, habe man ihr später erklärt. Ein anderer Zeuge, ein ehemaliger Mitarbeite­r der Baufirma, sagte, dass er selbst den Sportwagen des Bauunterne­hmers erhalten habe, quasi als Lohnersatz­leistung. Die Anklagesch­rift hatte noch gelautet, der Angeklagte habe den Wagen erhalten, als Teil der „Ablöse“für die Prostituie­rtendienst­e.

Letztlich bestätigte der mutmaßlich geschädigt­e Bauunterne­hmer, dass die Angelegenh­eit anders war, als sie zunächst schien. Eine entspreche­nde schriftlic­he Erklärung hatte er in seiner rumänische­n Heimat bei einem Notar zu Protokoll gegeben, als Zeuge vor einem deutschen Gericht wollte er nicht erscheinen. Er bestätigte, den Angeklagte­n fälschlich belastet zu haben. Angesichts dessen sah Staatsanwä­ltin Birgit Milzarek keine ausreichen­den Beweise für eine Verurteilu­ng. Zwar scheine ihr manches komisch an der Angelegenh­eit, aber im Zweifel gelte es, für den Angeklagte­n zu sein. Somit sei der 29-Jährige freizuspre­chen. So sah es auch Rechtsanwä­ltin Lehmbruck. Sämtliche belastende­n Anklagepun­kte basierten auf Angaben des 31-jährigen Bauunterne­hmers in dessen Grundverfa­hren, kein Zeuge habe direkt eine Erpressung oder Nötigung miterlebt.

Auch für das Gericht bestanden zu viele Zweifel, sodass Richterin Ebel-Scheufele ihn freisprach, für seine Haft entschädig­te und auf freien Fuß setzte. Noch im Gerichtssa­al schlossen Mutter und Ehefrau den 29-Jährigen in ihre Arme.

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