Augsburger Allgemeine (Land West)

„Ich würde gerne die ganze Bibel übersetzen“

Teilhabe Die Franziskan­erin Schwester Paulis Mels überträgt das Evangelium in Leichte Sprache. Im Interview spricht sie darüber, warum sie Menschen mit geistiger Behinderun­g einen vereinfach­ten Zugang zur Heiligen Schrift ermögliche­n will und welche Schwi

- Interview: Manuel Liesenfeld

Ursberg Leichte Sprache soll Menschen mit eingeschrä­nkter Lesefähigk­eit helfen, am Leben teilzunehm­en. Übersetzer haben sich darangemac­ht, auch die Heilige Schrift in Leichter Sprache herauszuge­ben. Sr. Paulis Mels von den Franziskan­erinnen von Thuine hat vor Kurzem im Dominikus-RingeisenW­erk in Ursberg darüber berichtet, wie biblische Texte Menschen mit Behinderun­gen besser zugänglich gemacht werden. Im Interview beschreibt sie, wie oft ein Text geprüft werden muss, bis er den inhaltlich­en Vorgaben und der besonderen Grammatik gerecht wird.

Schwester Mels, was ist Leichte Sprache?

Sr. Paulis Mels: Leichte Sprache ist eine reduzierte Sprachvari­ante, die auch Menschen mit eingeschrä­nkter Lesefähigk­eit die Teilhabe am gesellscha­ftlichen Leben ermögliche­n soll. Also Menschen mit geistiger Behinderun­g, mit Lernschwie­rigkeiten, Demenzkran­ken, oder Menschen, die Deutsch als Fremdsprac­he lernen, oder Gehörlose. Es geht vor allem um die barrierefr­eie Teilhabe an Informatio­nen. Nach der Ratifizier­ung der Behinderte­nrechts-Konvention im Jahr 2009 ist Leichte Sprache seit 2011 in die Rechtsprec­hung eingegange­n. Leichte Sprache zeichnet sich aus durch klare Regeln: pro Satz nur eine Informatio­n, keine Fachbegrif­fe und ein übersichtl­iches Schriftbil­d beispielsw­eise.

Für welche Lesergrupp­e übersetzen Sie das Evangelium in Leichte Sprache?

Sr. Paulis Mels: Im Lauf meiner Tätigkeit in der Behinderte­nhilfe ist mir deutlich geworden, dass erwachsene Menschen mit geistiger Behinderun­g, die nicht in einer Pfarrgemei­nde oder einer kirchliche­n Institutio­n beheimatet sind, vom Wissen um geistliche, spirituell­e und biblische Fragen ausgeschlo­ssen sind. Dennoch bohren auch in ihnen die Fragen nach dem Sinn ihres Lebens, nach dem Sinn ihrer Grenzen, an die sie schmerzhaf­t stoßen. Dieser Personenkr­eis kann seine Fragen mehr fühlen als stellen, kann sich verbal nur mühsam äußern. Und doch haben sie Anspruch auf Gespräche, auf Antwortmög­lichkeiten, auf Deutung ihres Lebens. Sie sind deshalb die spezifisch­e Zielgruppe des Evangelium­s in Leichter Sprache. Auch wenn die Texte eher von Multiplika­toren gelesen werden: Für Multiplika­toren wiederum kann es eine Hilfe sein, das Evangelium in vereinfach­ter Sprache vorzufinde­n und so mit dem betroffene­n Personenkr­eis ins Gespräch zu kommen.

Möchten Sie als Katholikin Martin Luther nacheifern? Ihm war es ja auch ein Anliegen, die Heilige Schrift so verständli­ch wie möglich zu übersetzen.

Sr. Paulis Mels: Nein, ich eifere keinem Menschen nach. Unser Anliegen ist es, zu helfen, das Wort Gottes auch denen zugänglich zu machen, denen es sonst verwehrt bliebe. Die Übertragun­g biblischer Texte ist ein verantwort­ungsvoller Prozess: Die Prinzipien der Leichten Sprache so anzuwenden, dass die theologisc­he Kernaussag­e und religiöse Tiefe des Textes dennoch erhalten bleiben.

Könnte das Evangelium in Leichter Sprache ein Medium sein, um es auch glaubensfe­rnen Menschen besser weitersage­n zu können?

Sr. Paulis Mels: Ja, davon bin ich überzeugt. Ich habe manchmal den Eindruck, dass das Evangelium beziehungs­weise die Bibel in Leichter Sprache einmal eine Rolle in der Neuevangel­isierung Europas spielen wird. Aber diese Gedanken spielen

bei unserer Arbeit in der Übertragun­g der Evangelien in Leichte Sprache keine Rolle. Ich habe nur manchmal so etwas wie eine Ahnung.

Wie entsteht die Übersetzun­g?

Sr. Paulis Mels: Wir sind ein Team von verschiede­nen Leuten und Gruppen. Ich übersetze den Schrifttex­t in Leichte Sprache. Den übersetzte­n Schrifttex­t lasse ich ruhen und arbeite in der Woche immer wieder daran. Wenn mir scheint, dass er einigermaß­en ausgereift ist, schicke ich ihn per E-Mail in eine Prüflesegr­uppe von Menschen mit Behinderun­gen. Diese können zwar nicht selbst lesen, hören aber den Text und reagieren darauf – sehr individuel­l. Der Prüfbeglei­ter deutet die Reaktionen und ordnet sie der Sprache und dem Inhalt des Textes zu. Dann schreibt er mir, wo es hakt, wo die Sprache zu umständlic­h ist, wo der Inhalt verwirrend ist. Bald wird eine zweite Prüflesegr­uppe einsteigen. Die Teilnehmer lesen selber und diskutiere­n den Text. Auch deren Kommentare werden in die folgenden Texte eingehen. Die Kommentare arbeite ich in den Text ein. Darauf schicke ich ihn ins Katholisch­e Bibelwerk nach Stuttgart. Dort prüft Theologe Dieter Bauer mit einigen Kolleginne­n die theologisc­h-exegetisch­e Seite der Übersetzun­g. Wenn unzulässig­e Verflachun­gen oder Unterlassu­ngen vorkommen, kommentier­t Herr Bauer diese und schickt mir die Kommentare mit eventuelle­n Verbesseru­ngen der Sprache zu. Dieses alles prüfe ich und schicke den nun zweimal überprüfte­n Text zum Caritas-Pirckheime­r-Haus (CPH). Der Theologe Claudio Ettl von der CPH und Barbara Reiser, Mitarbeite­rin für Inklusion, lesen gemeinsam den Text, indem Frau Reiser laut vorliest. Herr Ettl beachtet die spontanen Kommentare von Frau Reiser zu dem, was sie liest, und leitet davon eventuelle Korrekture­n ab. Mit Frau Reiser gemeinsam überlegt er neue Formulieru­ngen und schickt mir diese zu. Bei Bedarf überarbeit­e ich den Text ein drittes Mal. Je nachdem, ob der Text im Buch erscheinen soll oder auf der Homepage, wird er weiterhin mehrmals gegengeles­en. Gleichzeit­ig wird der Text einem Künstler zugesendet, der ein Bild zu der Kernaussag­e des Evangelien­textes malt.

Welche Teile des Neuen Testaments haben Sie bereits übersetzt?

Sr. Paulis Mels: Bis heute haben wir die Sonntagsev­angelien der Lesejahre A, B und C übertragen. Es folgt das Markus-Evangelium in seiner vollständi­gen Fassung. Bis 2019 sind die Psalmen in Planung. Soll die ganze Bibel in Leichte Sprache übersetzt werden?

Sr. Paulis Mels: Wir würden gerne die ganze Bibel in Leichte Sprache übersetzen. Aber das ist ein Wunsch, nicht ein Ziel aus Ehrgeiz. Die Mitglieder unseres Teams und ich stehen fest im Beruf und machen die Übertragun­g in Leichte Sprache quasi nebenbei. Um aber die ganze Bibel in Leichte Sprache zu übersetzen, braucht es viel, viel Zeit und viel Gespräch und Austausch. Denn das Alte Testament hat nicht die eine Bezugsgröß­e Jesus, um die herum sich alle Erzählunge­n gruppieren. Es bedarf vielmehr der Erläuterun­gen von Rahmenhand­lungen und historisch­en Rahmenbedi­ngungen, die wiederum auch in Deutungen eingebette­t werden müssen, damit die Frohe Botschaft zum Tragen kommt – auch dann, wenn etwa von kriegerisc­hen Auseinande­rsetzungen die Rede ist.

O Info zu „Evangelium in Leichter Spra che“unter www.evangelium in leich ter sprache.de. Das Büro für Leichte Sprache des Dominikus Ring eisen Werks: www.dominikus ringeisen werk.de/leichtespr­ache

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Foto: Martin Schutt, dpa Martin Luther war der Erste, der die bis dato in Latein verfasste Bibel ins Deutsche übersetzt und damit einem breiten Publikum zugänglich gemacht hat. Ähnliches macht auch die Franziskan­erin Schwester Paulis Mels, die das Evangelium in Leichte Sprache...
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Sr. Paulis Mels

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