Augsburger Allgemeine (Land West)
Wird die FPÖ zum Kanzlermacher?
Österreich Wie in Deutschland gilt die Große Koalition als gescheitert. Die Freiheitliche Partei könnte bei den Wahlen am Sonntag zum Zünglein an der Waage werden. Gekämpft wird auf allen Seiten bis zum Schluss
Wien
Die Schlusskundgebung der Freiheitlichen Partei Österreichs am Viktor-Adler-Markt im Wiener Arbeiterviertel Favoriten hat Tradition. Zu Bier, blauen Luftballons und rot-weiß-roten Fahnen spielt die John Otti Band FPÖ-Hits. „Immer wieder Österreich“zum Beispiel. Dann bringt Parteichef Heinz Christian Strache seine Fans zum Toben. Dass er den ÖVP-Chef Sebastian Kurz einen „Ohrwaschelkaktus“nennt, ist in diesem Wahlkampf eine Art Running Gag an Stammtischen und auf Marktplätzen. Außerdem attackiert er die Flüchtlinge, die Türkei und die drohende Bargeldabschaffung.
Seit zwölf Jahren führt Strache die FPÖ. Am Sonntag wird es seine vierte Nationalratswahl sein. Wenn jetzt wieder nichts aus einer Regierungsbeteiligung wird, könnte dies auch Folgen für ihn persönlich haben. So kehrte Strache in den unzähligen TV-Diskussionen den Staatsmann heraus, gab sich kontrolliert und nur ausnahmsweise aggressiv. Auch auf antisemitische Signale verzichtete er weitgehend, nur einmal griff er den Unternehmer Georg Muzicant an, der Kurz fast 100000 Euro gespendet habe.
„Die FPÖ hat gelernt, zivilere Töne anzuschlagen“, urteilt der frühere ÖVP-Chef und Vizekanzler Erhard Busek. Die extremen Mitglieder „gibt es noch immer, aber sie werden nicht hergezeigt. Wie lange es dabei bleibt, hängt davon ab, ob diese Taktik Erfolg hat.“
Die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle weist darauf hin, dass ÖVP und SPÖ neuerdings beide bereit seien, mit der FPÖ zu koalieren, um nicht zur Großen Koalition gezwungen zu sein. „Deshalb mussten ÖVP-Chef Kurz und SPÖ-Chef Christian Kern Strache in den TV-Diskussionen als salonfähig erscheinen lassen.“Kern ist seit dem vergangenen Jahr Bundeskanzler in Österreich.
Die FPÖ könnte nach der Wahl in der Poleposition stehen, sich den Koalitionspartner aussuchen und damit den künftigen Kanzler bestimmen. Die Umfragen sehen zwar seit Wochen einen klaren Vorsprung für den ÖVP-Kandidaten Kurz. Doch andere Daten weisen darauf hin, dass der Anteil der Unentschlossenen gestiegen ist, seitdem die „Affäre Silberstein“öffentlich wurde und die Schlammschlacht zwischen SPÖ und ÖVP ins Bewusstsein der Wähler drang.
Es sei einer der „schmutzigsten Wahlkämpfe der Zweiten Republik“gewesen, urteilten die Moderatoren der ORF-Elefantenrunde. „Diesen Wahlkampf hätten wir uns in der Tat sparen können“, seufzte Bundeskanzler Kern resigniert. Drei Tage vor der Wahl liegt unter jenen, die sicher zur Wahl gehen wollen, der Anteil der Unentschlossenen bei fünfzehn Prozent. „Kurz wird nicht so viel gewinnen und Kern wird nicht so viel verlieren wie prognostiziert wird“, sagt Busek. Die Enttäuschung seiner Anhänger, „der Prätorianergarde“, wie Busek sie nennt, könne für Kurz zu einem Problem werden. Es sei nicht sicher, dass Kurz dann Schwarz-Blau anstrebe, also die Koalition mit den Freiheitlichen.
Viele in der ÖVP könnten sich auch eine Fortsetzung der Koalition mit der SPÖ unter einem Kanzler Kurz vorstellen, falls Kern den SPÖ-Vorsitz abgibt. Es sind Kräfte bei den Konservativen, die die vertrauten politischen und wirtschaftlichen Strukturen in Österreich retten wollen. Ihr junger Parteivorsitzender Kurz begann am Freitag zum Finale noch eine 36-Stunden-Tour im Wahlkampfbus. Die vergangenen Monate, seit er im Amt ist, seien „sehr intensiv, aber auch sehr schön“gewesen, sagte er.