Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Poesie des Vergessens
Hoffmannkeller In „Du bist meine Mutter“mit Andrej Kaminsky vermengen sich Erinnerungen und Identitäten
Das Stück von Joop Admiraal, das am Freitag im Hoffmannkeller Premiere feierte, trägt nicht den Titel „Ich bin dein Sohn“. Denn Admiraal, der diesen Monolog 1981 schrieb, befasst sich innerhalb des Vergessensmartyriums einer alten Frau nicht damit, seine eigene Person oder die eigenen Erregungen mitteilen zu wollen. Und so beginnt das Stück mit der Frage: „Wer ist meine Mutter?“Die Antworten darauf fallen zuerst unbefriedigend aus. Die Mutter wird in das historische Umfeld ihrer Zeit gesetzt, dann scheitert der Versuch, sie anhand ihrer Biografie zu modellieren. Schließlich beschreibt Admiraal sie als die, „die mich mein ganzes Leben genervt hat“und als „die Frau, die ich nie gefragt habe“– also doch das kurze Vorhaben, die Mutter aus dem Verhältnis zum Sohn heraus zu erklären.
Auch das bleibt ein verkümmerter Ansatz, der sich der Darstellung eines über 80 Jahre währenden Lebens als nicht gerecht erweist. Zuletzt das Bemühen, die Mutter zu zeigen. Der Schauspieler Andrej Kaminsky sieht in den Garderobenspiegel vor sich, nimmt die Mimik einer alten Frau an, und sagt dahinein: „Du bist meine Mutter“– und so lautet dann der Titel des Stücks.
Das Gesicht, das der Zuschauer daraufhin zu sehen bekommt, ist das einer greisen Dame. Die Unterlippe bebt, ebenso die rechte Hand. Der Gesichtsausdruck erscheint nie völlig leer, dafür voller Fragen. Wie Kaminsky nicht nur Mienen, sondern zwei zusammenhängende und gleichzeitig auf ihre Eigenständigkeit beharrende Existenzen konstituiert, fesselt und erschreckt in der intimen Atmosphäre des Hoffmannkellers. Mal gibt er den Ich-Erzähler, mal Admiraal selbst, der mit seiner Mutter verhandelt und im nächsten Satz ist er die gebrechliche Frau, die sich, ihre Umgebung und ihren Sohn immer wieder von vorne ausmalt. Dabei vermengen sich Identitäten und Erinnerungen und irgendwann könnte das Stück heißen: „Ich bin meine Mutter“.
Der Autor zeigt einen Sonntag im Altenheim seiner an Demenz erkrankten Mutter, der sich aus der ständigen Wiederholung langsam entfaltet und durch die reduzierte Darstellung die Vorstellungskraft anregt. Der Sohn besucht die Mutter, zieht sie an für einen Spaziergang im Garten des Pflegeheimes, den sie glaubt, nie zuvor gesehen zu haben, genauso wenig wie die Kleidung, die sie sich überstreifen lässt. Aber schön findet sie den Mantel und schön den Rock und schön den Garten. Eine Poesie des Vergessens klingt schmerzlich und zugleich ohne Larmoyanz im Wiederholen des tausend Mal Gesagten, das für beide, noch nicht aus-, also zu Ende gesprochen ist. Auch wenn die Mutter zum wiederholten Mal fragt, ob er, Admiraal, oder er Kaminsky – ganz sicher lässt sich das nicht unterscheiden, die Biografien überschneiden sich – wirklich als Schauspieler arbeitet, dann ist sich der Sohn selbst bei diesem wiederholten Mal wieder unsicher, was er antworten soll. Dabei hat die Mutter längst die nächste Frage auf den bebenden Lippen. Eine Absurdität, ähnlich des Theaters Samuel Becketts, nicht der erzählten, sondern der ausgelebten Realität, bei der einem das Lachen im Halse stecken bleibt im Beobachten der sisyphushaften Leidenswiederholung an den Sonntagen im Pflegeheim. Bei alledem muss man betonen: Dieses Stück zu erleben, schmerzt nicht nur. Es kann auch unsentimental komisch sein, dagegen – und das glücklicherweise – eben nicht lustig.
„Du bist meine Mutter“ist ein eindrücklicher Monolog, den der Schauspieler nicht alleine, sondern mit sich und den eigenen Erinnerungen führt. Zart gespielt, ohne den Versuch einer distanzschaffenden und damit erleichternden Überzeichnung. Ein beeindruckender Einstand des neuen Ensemble-Mitglieds Andrej Kaminsky am Augsburger Theater, der das Stück aus seinem vorhergehenden Engagement in Bonn mitgebracht hat.