Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Frage der Woche
Seit Jahrzehnten schon begrüßen Menschen einander mit Wangenküsschen – auch weit abseits von Kulturen, in denen das Tradition ist. Kann man blöd finden, kann man auch einfach nicht mitmachen. Aber grundsätzlich zu sagen, das gehe nicht, auf die Idee käme eigentlich keiner, oder? Was ist beim Handkuss anders?
Es ist eine womöglich antiquiert wirkende Geste der Ehrerbietung, die, richtig vollzogen, nur angedeutet wird, also ohne Lippenberührung bleibt und die vor allem nicht beidseitig ist. So, wie es auch klassisch Gesten des Tür-Aufhaltens und des Inden-Mantel-Helfens nicht sind. Kann frau alles blöd finden, kann frau auch alles abwehren – etwa weil es ihr unangenehm ist, weil es ihr übergriffig erscheint oder weil sie meint, es passe nicht in eine Zeit, in der es doch endlich darum gehe, einander auf Augenhöhe, von gleich zu gleich, zu begegnen. Und dass sich Männer hier verneigen, andererseits aber noch immer die völlige Emanzipation verweigern – zynisch! Und so. Mehr lesen Sie wohl nebenan…
Aber der Handkuss ist im Gegensatz zu Wangenküsschen – und außerhalb von Adelskreisen – ja längst kein alltägliches Ritual mehr. Und das ändert alles. Denn in der Ausnahmegeste riskiert doch höchstens der Mann, sich lächerlich zu machen. Es genügt ein süffisantes bis abschätziges Kräuseln des Damenmundes, während er sich neigt, um ihn abzukanzeln. Erst recht wirkt ein Entziehen der Hand verheerend. Und damit gewinnt der Handkuss einen Reiz zurück, weil er sich in der Hoffnung auf Einigkeit ausliefert. Das kann vom gemeinsamen, ironischen Bezug bis zur echten Vertrautheit gehen, die eine Verehrungsoder Demutsgeste ernsthaft zulässt. Darum kann ein Handkuss so schön sein. Ihn rundweg verneinen, ist darum blindwütige, stumpfe Agitation.