Augsburger Allgemeine (Land West)
100. Geburtstag: So feiern Finnen ihr großes Fest
Unabhängigkeit Viele Finnen in der Region jubeln und erzählen, warum ihnen der Nationalfeiertag wichtig ist
Landkreis Augsburg
Auf dem Frühstückstisch brennt eine weiß-blaue Kerze, die Nationalfarben zieren auch die Servietten, und vor dem Haus, da weht die Nationalflagge: Die finnischen Mitbürger im Landkreis feiern 100 Jahre Unabhängigkeit von Russland. Die Menschen aus dem hohen Norden gelten als introvertiert, ruhig, unaufgeregt. Ähnlich entspannt sind sie in der Region gestern das erfreuliche Jubiläum angegangen.
Tuula Englbrecht aus Zusmarshausen etwa sagt, sie sei zwar sehr stolz auf ihr Geburtsland, in Jubel mag sie aber nicht ausbrechen. „Nach außen hin wird bei uns in Deutschland nicht viel gefeiert. Ich freue mich eher im Inneren“, sagt sie. Englbrecht stammt ursprünglich aus Nordkarelien, Ost-Finnland. Noch heute lebt da ein Teil ihrer Verwandtschaft. Sie ist sich sicher, dass gestern das ganze Land kopfstand. „Jedes öffentliche Gebäude wird in den Farben blau und weiß angestrahlt. Im Fernsehen wird live am Abend vom großen Empfang beim Präsidenten berichtet“, erklärte sie. Ganz ohne Party möchte Englbrecht den Tag aber nicht verstreichen lassen, erzählte sie gestern: „Zusammen mit meinem Mann werde ich am Abend auf einen feierlichen Empfang in Augsburg gehen. Dazu hat uns die Deutsch-Finnische Gesellschaft Augsburg eingeladen.“
Der Vorsitzende der Gesellschaft ist Martin Ludwig aus Deubach. Er selbst kommt nicht aus Finnland, aber seine Frau Leena. Sie stammt aus der Großstadt Tampere im Südwesten des Landes. „Für uns alle ist es ein außergewöhnliches Ereignis“, sagt Ludwig. Vor der Haustüre stehe zur Feier des Tages ein großer Leuchter, bestückt mit blau-weißen Kerzen. Das große Fest sollte dann am Abend stattfinden. „Wie ich erfahren habe, ist ein Koch im Restaurant, in dem wir feiern, aus Finnland. Er wird den Gästen einen Gruß aus der Küche zukommen lassen. Es wird unter anderem Rentierhack serviert“, sagte der Vorsitzende. Auch die Nationalhymne sollte angestimmt werden, ebenso das von Jean Sibelius komponierte Stück „Finlandia“– so etwas wie die zweite offizielle Hymne der Finnen.
Weniger Musik denn die Flagge steht für Matti Müller als Symbol für den Nationalstolz der Finnen. Der SPD-Politiker, der vor drei Monaten ins Rennen um das Bürgermeisteramt in Stadtbergen gezogen ist, verrät: „Es ist Tradition, den Weihnachtsbaum mit Flaggen zu schmücken. Sogar bei meiner Hochzeit wurde mit Flaggen dekoriert.“Müllers Verbindung nach Finnland ist seine Mutter, die dort lebte. Auch seine Frau Melita stammt aus dem Land. „Bei der Verwandtschaft gibt es ein riesengroßes Fest. Sie haben einen gesunden, modernen sowie positiven Nationalismus und gehen mit dem Thema unverkrampft um.“Er bewundert das Land für seine Vorreiterrolle: Dort wurde das erste Frauenwahlrecht in Europa eingeführt.
Geht es nach Pentti Buchwald, dessen Mutter aus Mittelfinnland ist, dreht sich bei der Feier zum 100. Jahrestag der Unabhängigkeit vieles um diejenigen, die für diesen Schritt gefallen sind. „Man ist etwas wehmütig, aber auch stolz“, beschreibt er seine Stimmungslage. Eine große Party feiert der Leiter des Walderlebniszentrums Oberschönefeld nicht. Bei seinen Cousins in Finnland sehe das anders aus: Zu essen gibt es karelische Piroggen, mit Reis gefüllte Teigtaschen sowie Korvapuusti, süße Zimtschnecken. „Und viel Kaffee. Finnen haben den größten Pro-Kopf-Verbrauch der Welt – wahrscheinlich, weil es so dunkel dort oben ist und man wach bleiben möchte“, sagt er. Danach aber gehe der Alltag ganz normal weiter: „Denn Finnen sind bescheiden.“