Augsburger Allgemeine (Land West)
Hätte, wäre: das verpasste tolle Kinojahr
Hätte ich die Filme, die ich 2017 sehen wollte, auch tatsächlich gesehen, könnte ich jetzt auf ein großartiges Kinojahr zurückblicken. Wäre ich in alle die Filme gegangen, in die ich hätte gehen sollen/müssen: Der Abspann des persönlichen Kinojahres wäre nicht so kurz wie ein Haiku. Die Litanei des Verpassten, Ungesehenen – wenigstens kurz angestimmt sei sie hier, bevor wir zur Schuldfrage kommen. Also: Wäre gerne gewesen in „The Salesman“, „Elle“, „Die andere Seite der Hoffnung“, „The Founder“, „Das Ende ist erst der Anfang“, „Jugend ohne Gott“…
Woran lag’s, neben den üblichen Verdächtigen wie Zeitnot, Überverplantheit, Müdigkeit, Schusseligkeit? Es lag, und das ist wie mit den Romanen in den Buchhandlungen, am immer schneller sich drehenden „Rein und raus“-Karussell. Die Aufmerksamkeitsfenster werden eng wie Sehschlitze. Wenn ein kleinerer Film zwei, gar drei Wochen läuft, ist das heute schon unheimlich lang. Mit Wehmut (gibt es etwas, was es häufiger gibt im Leben eines Kinogängers?) blickt man zurück auf die Zeit, als Kinos noch offensiv warben mit der Dauer, mit der Beständigkeit, mit der Wiederholung. Wenn an der Anschlagtafel „7. Woche“stand oder „21. Woche“, dann hieß das: starker Film, und er läuft weiter, wenn Leute kommen. Inzwischen ist es nicht nur so, dass die DVD immer schneller nach dem Kinostart kommt. Es übertönt auch das Getöse für das Neue alles, was schon „alt“, also angelaufen ist.
Was folgt aus alledem an guten Vorsätzen für 2018? Präziser planen, weniger schlafen, entschlossener aufraffen. Damit nicht passiert, was vergangene Woche wieder passiert ist. „Die Lebenden reparieren“– interessante Kritik gelesen, den schaue ich an! Zu spät. Lief. Läuft aber nicht mehr.