Augsburger Allgemeine (Land West)
Im Stall erzählte der Vater vom Christkind
Die Zeit rund um den Heiligen Abend ist gerade für Kinder etwas ganz Besonderes: Zwei unserer Leserinnen erzählen von ihren Erlebnissen vor 1950 – Serie
Landkreis Augsburg Die Weihnachtszeit ist schon von jeher gespickt mit allerlei Bräuchen und Traditionen: Die Fantasie der Kinder blüht auf, wenn sie sich vorstellen, wie das Christkind Geschenke unter den Baum legt. Zwei unserer Leserinnen erinnern sich zurück an die Festtage einst zu ihrer eigenen Kindheit vor 1950, als sie mit Spannung ihre Geschenke erwarteten.
Luise Katzenschwanz aus Zusmarshausen-Steinekirch weiß noch genau, wie ihr Weihnachten nach Kriegsende 1946 aussah. In der Familie Fischer gab es sieben Kinder, sechs Mädchen und einen Bub, der mit 18 Jahren in russischer Gefangenschaft war. Am Heiligen Abend ging der Vater mit den vier jüngeren Mädchen in den Kuhstall, bevor das Christkind kam. Die älteren Geschwister und die Großmutter halfen der Mutter bei den Vorbereitungen in der Weihnachtsstube. „Im Stall herrschte eine ganz besondere Atmosphäre vor“, erinnert sich Luise Katzenschwanz. „Und eine heimelige Wärme bei den Tieren.“Die Kinder saßen im Stroh, während der Vater auf seine ihm eigene Art erzählte, dass auch das Christkind damals in einem Stall geboren wurde. Die Familie sang zusammen Lieder und betete ganz besonders für den Bruder in Russland. Dann läutete ein Glöckchen. Die Mutter öffnete die Stalltür und rief: „Chrischtkindle isch komme, für alle Brave und Fromme!“Für Anna Müller, geboren 1932, und ihre Geschwister waren die Wochen vor Weihnachten die schönste Zeit in ihrer Kindheit. Damals war ihre Heimat ein kleines, reiches Bauerndorf im Sudetenland. Es wurde „Apfel“genannt, weil es ganz rund gebaut war. Heute lebt Anna Müller in Neusäß. Schon während der Adventszeit läutete oft das Christkind mit einer Glocke an der Haustüre. „Meine Schwester und ich fielen dann sofort auf die Knie, falteten die Hände und beteten“, erzählt die heute 85-Jährige. Dann ging die Türe auf und eine wunderschöne, weiße Hand in einem langen Handschuh – mehr war davon nicht zu sehen – warf Nüsse und Süßigkeiten in den Raum. Kaum war die Türe wieder geschlossen, sprangen die Schwestern auf, um alles einzusammeln: „Das Christkind hat geschmissen, so sagten wir Kinder.“Und das geschah häufiger.
Auch die Pferdeäpfel vor dem Haus hatten die Pferde mit der Kutsche des Christkinds hinterlassen, so glaubte Anna Müller. Sie fügt hinzu: „Später erfuhren wir, Mama hatte sie eigens dorthin gebracht! Das war für uns immer eine Sensation.“
Am ersten Weihnachtsfeiertag dann besuchte Anna Müller ihre Freundinnen, um die Geschenke und vor allem den Baum anzusehen. „Einmal war ich sehr traurig, da unser Baum zwar reich geschmückt, aber schief war“, erinnert sich die 85-Jährige. Die Geschwister verdächtigten das Christkind, es hätte ihnen den schlechtesten Baum gebracht – und so geschah das öfter. Später offenbarte sich, was der eigentliche Grund war: Der Vater hatte den eigenen Wald schonen wollen und deshalb nicht den schönsten Baum genommen. Dafür holten Fremde diesen aus dem Wald der Familie, wie die Mutter erzählte. Anna Müller fasst zusammen: „Weihnachten zu Hause kann ich bis heute nicht vergessen! Da lag so viel Geheimnisvolles in der Luft und den heimatlichen Geruch im ganzen Haus kann ich noch immer spüren und riechen.“