Augsburger Allgemeine (Land West)
Das Spiel mit der Betroffenheit
Das Junge Theater Augsburg fragt sich, ob die Arbeit mit Flüchtlingen verändert werden muss. Ist es überhaupt ethisch vertretbar, deren Eifer zu nutzen, auch wenn am Ende die Abschiebung droht
Theater mit Flüchtlingen über Flucht – das verspricht Nähe und Authentizität, Echtheit des auf der Bühne Gezeigten. Viele Theater arbeiten seit 2015 mit Flüchtlingen. Das steigert nicht nur das Publikumserleben, es kann auch den Theatern nutzen. Das Profil wird geschärft, vielleicht neue Zuschauer angesprochen. Doch ist das auch ethisch vertretbar? Mit den Erlebnissen der übers Mittelmeer Geflohenen, ihren Verletzungen und Hoffnungen auf Asyl derart zu „spielen“? Sie einzubinden, auch wenn am Ende die Ablehnung und Rückkehr drohen? Hinzu kommt: Flüchtlinge im Asylverfahren dürfen kein Geld verdienen, arbeiten also umsonst. Oder ehrenamtlich, das klingt nicht so nach „Ausbeutung“, meinen Kritiker. Ein Dilemma. Kein Wunder, dass das Junge Theater Augsburg (JTA), das sich nicht erst seit der großen Fluchtbewegung 2015, sondern bereits seit 2011 mit Flucht- und Migrationsthemen auseinandersetzt, Flüchtlinge, Theater-, Kultur- und Migrationsfachleute zu einem fachlichen Austausch ins Abraxas einlud.
Allerdings haben viele der echten Geschichten ein Happy End oder tendieren wenigstens zu einem glücklichen Ausgang. „Flüchtich“zum Beispiel. Das erste biografische Bürgerstück des JTA feierte 2013 Premiere. Gespielt wurde im alten Straßenbahndepot bei der Beratungsstelle von „Tür an Tür“. Für den gelernten syrischen Schauspieler Ramadan Ali, der 2009 vor dem syrischen Geheimdienst nach Deutschland geflohen war, war diese Idee ein Glücksfall. Er stieg 2011 ein, beteiligte sich an den Recherchen und übernahm seine erste Rolle seit der Flucht.
Inzwischen wirkte Ali bei sechs JTA-Produktionen mit. Der Renner ist „Rotkäppchen auf der Flucht“, das seit 2014 bereits 100 Mal an Grundschulen in und um Augsburg gezeigt wurde. Jedes Mal zieht Ali seinem Kollegen Pouya Raufyan in diesem Zweimann-Stück die rote Kappe über die Ohren. Wie Rotkäppchen verlassen sie die Heimat, bekommen im Wald jedoch – anders als das Mädchen – höllische Angst. Auch bei dem FriedhofsBürgerstück „Letzte Heimat“(2014) und bei den „Augsburger Stadtmusikanten“(aktuell) ist der Schauspieler dabei. Inzwischen allerdings gegen Honorar. Ali hat eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und seine Einbürgerung beantragt.
Dass auf die zunächst ehrenamtlichen Darsteller auch überregional Theater und Produzenten aufmerksam werden, zeigt nicht nur Augsburgs wohl bekanntester Flüchtling, Pouya Raufyan, der ab Februar am Staatstheater Darmstadt angestellt ist. Auch Ramazan Ali ist als Selbstständiger längst deutschlandweit unter Vertrag. Er wirkte in Filmen mit und musste vor kurzem aus Zeitmangel sogar eine Anfrage der Hamburger „Tatort“-Redaktion absagen. „Ein schwuler Libanese hätt es sein sollen. Ich habe mich riesig gefreut, hatte aber keine Zeit“, erklärt Ali.
Auch Ayden ist so ein Erfolgsbeispiel. Der Christ und gelernte Kameramann floh 2012 aus Irak nach Deutschland, kam in Augsburg unter und lernte das JTA beim Casting für das Bürgerstück „Letzte Heimat“kennen. „Für mein Selbstvertrauen, die Sprache, für meine gesamte Zukunft war dieses Engagement ausschlaggebend“, erzählt Ayden. Wegen seiner persönlichen Verfolgungssituation bekam er wie Ramazan Ali schnell Asyl. Er arbeitet heute als Kameramann einer Produktionsfirma in München und hat inzwischen ebenfalls den deutschen Pass beantragt.
Raufyan, Ayden und Ali sind zusammen mit den aktuellen Darstellern von „Mutbürger“– Süleyman, 20, aus Gambia, Abdi Ayub, 20, aus Äthiopien und dem Afghanen Jamil Rahmani, 18 – Teilnehmer des JTA-Fachgesprächs „Rotkäppchen trifft Mutbürger“im Abraxas. An den Diskussionen beteiligten sich zudem Albert Ginthör vom Gärtnerplatztheater München, Augsburger Stadträte von Grünen und Polit-WG, Vertreter des Migrationsbüros, von Tür an Tür, des Stadttheaters und der Caritas-Rückkehrberatung.
Nicht nur die drei älteren „Flüchtlinge“, auch die jungen Spieler sind sich einig: Mit der Arbeit beim JTA können sie nur gewinnen. Auch wenn für die wenigsten am Ende eine Schauspielerkarriere herauskommt – die kulturelle Erfahrung, die sprachliche Übung und die inhaltliche Auseinandersetzung mit ihren Erfahrungen haben eine heilsame und aufbauende Wirkung. Dass die Stücke auch Publikumserfolge sind, zeigen die Buchungszahlen und die oft monatelange hundertprozentige Auslastung. Auch die anwesenden Sozialarbeiter und Künstler wie Ginthör und die Regisseurin des Stadttheaters, Nicole Schneiderbauer, geben überwiegend positive Meldung. Theater sei als Begegnungsort prädestiniert, verschiedene gesellschaftliche Gruppen auf und vor der Bühne zusammenzubringen. Wenn dann auch noch die jungen Männer – denn Darstellerinnen hat Susanne Reng unter den Flüchtlingen bisher nicht gefunden – profitierten, sei das Erfolgsrezept doch für alle Seiten perfekt.