Augsburger Allgemeine (Land West)
Erste Hilfe gegen schlechte Gedanken
In der Fastenzeit nehmen sich viele vor, auf etwas zu verzichten. Glücksexpertin Katharina Tempel erklärt, wie sich unangenehme Gefühle aus dem Alltag verbannen lassen
Frau Tempel, heute beginnt die Fastenzeit. Wenn ich mir vornehme, währenddessen auf negative Gedanken zu verzichten: Wie schwer wird das Ihrer Meinung nach?
Katharina Tempel: Das wird auf jeden Fall eine ordentliche Herausforderung. Die größte Schwierigkeit wird bereits darin bestehen, die eigenen negativen Gedanken bewusst wahrzunehmen. Wir haben am Tag etwa 60000 bis 80000 Gedanken. Der Großteil davon erfolgt unbewusst, also ohne dass wir diese wirklich mitbekommen. Oft erkennen wir erst dann, dass wir gerade einen negativen Gedanken hatten, wenn wir uns plötzlich schlecht fühlen und unangenehme Emotionen auftauchen.
Was habe ich davon, wenn ich gelassener lebe und mich nicht von negativen Emotionen lenken lasse?
Tempel: Evolutionär bedingt hat unser Gehirn eine eingebaute negative Verzerrung entwickelt. Das bedeutet, dass unser Gehirn ständig nach schlechten Nachrichten Ausschau hält, intensiv auf sie reagiert und die Erfahrung zügig im Gedächtnis verankert. Früher entschied dieses besondere Bewusstsein für Gefahr über Leben und Tod. Heute beeinträchtigt es unsere Lebensfreude, die Qualität unserer Beziehungen und unsere psychische und physische Gesundheit. Wer es schafft, hier bewusst gegenzusteuern, erhält nicht nur ein realistischeres Bild von sich selbst und seiner Umwelt, sondern wird sich auch glücklicher und unbeschwerter fühlen.
In welchen Situationen fällt es Menschen besonders schwer, negative Gedanken zu unterdrücken?
Tempel: Wir meinen häufig, dass es die Ereignisse in unserer Umwelt sind, die uns glücklich oder traurig machen. Aber es sind nicht die Ereignisse selbst, sondern unsere Bewertungen dieser Ereignisse, die unangenehme Emotionen hervorrufen. Wie oft und wie schwerwiegend wir negativ denken, hängt also nicht so sehr von den Situationen ab, die uns im Alltag begegnen, sondern von unseren Eigenschaften und Gewohnheiten. Menschen, die sehr empfindlich reagieren, Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl, Depressive und solche, die sich einen pessimistischen Erklärungsstil angeeignet haben, sind besonders anfällig für negative Gedanken.
Haben Sie Tipps, wie es trotzdem gelingen kann?
Tempel: Wer seine negativen Gedanken in den Griff bekommen möchte, muss sie sich als Erstes bewusst machen. Dabei hilft es zum Beispiel, öfters am Tag innezuhalten und gezielt darüber nachzudenken, welche Gedanken einem gerade durch den Kopf gegangen sind. Man kann sich auch einen Notizzettel an den Monitor kleben, auf dem steht: „Was denke ich gerade?“Auf diese Weise schulen wir unser Bewusstsein für unsere Gedanken. Wer sich dann bei einem negativen Gedanken ertappt, sollte diesen gezielt hinterfragen: Ist das wirklich so? Habe ich Beweise für meine Annahmen? Gibt es Gegenbeweise? Dabei geht es keineswegs darum, alle negativen Gedanken auszumerzen. Ziel ist es, das eigene Katastrophendenken zu relativieren und sich eine realistischere Sichtweise anzugewöhnen.
Im Englischen gibt es den Ausdruck „car rage“. Er beschreibt die Verwandlung eines Menschen von gelassen zu aggressiv, sobald er in sein Auto einsteigt. Wie gelingt es, auch im Straßenverkehr oder ähnlich aufwühlenden Situationen ruhig zu bleiben?
Tempel: Um in aufwühlenden Situationen ruhig zu bleiben, gibt es ein einfaches und kostenloses Mittel: die Konzentration auf den eigenen Atem. Wenn wir unter Stress und Druck geraten, beschleunigt sich unsere Atmung und signalisiert dem Körper somit Gefahr, Anspannung und Angst. Wir sollten daher ein paarmal ganz bewusst ein- und ausatmen. Das wird die Atmung wieder verlangsamen und den Körper entspannen.
Oft steht man dem eigenen Glück im Weg, weil man mit sich selbst unzufrieden ist oder Selbstzweifel hat. Wie lassen sich solche negativen Gedanken verbannen?
Tempel: Hier gilt es in erster Linie, am eigenen Selbstwertgefühl zu arbeiten, denn wir haben umso mehr Selbstzweifel, je geringer unser Selbstwertgefühl ist. Das bedeutet, dass wir uns von überholten Glaubenssätzen darüber, wie wir zu sein haben, um wertvolle Menschen zu sein, lösen. Wir dürfen erkennen, dass wir schon jetzt wertvoll und liebenswürdig sind. Dadurch steigt auch das Selbstvertrauen und Vergleiche mit anderen sind nicht mehr so schmerzhaft und zerstörerisch.
Sie betreiben eine Internetseite, die den schönen Namen Glücksdetektiv trägt. Haben Sie denn den Weg zum Glück schon aufgespürt?
Tempel: In meiner Doktorarbeit habe ich sehr viel darüber gelernt, was glücklich macht und was nicht, und wie schlecht wir oft darin sind, beides voneinander zu unterscheiden. Auch die zahlreichen Rückmeldungen meiner Leser und Zuschauer helfen mir zu erkennen, wie der Weg zum Glück beschaffen ist und wodurch wir häufig von ihm abkommen. Aber den Weg zu kennen, heißt noch lange nicht, ihn auch zu gehen. Ich sehe mich nicht als Vorbild und würde niemandem meine Lebensweise aufdrücken. Aber ich gebe liebend gerne mein Wissen und meine Erfahrungen weiter, damit wir gemeinsam den Weg finden und uns gegenseitig darin unterstützen, ihn nie wieder aus den Augen zu verlieren.