Augsburger Allgemeine (Land West)
Alte Nägel am eigenen Sarg
Ein Schreiner in Bobingen baut mit Laien deren letzte Liegestatt und zeigt, wie man sich richtig zur Ruhe bettet. Warum ein Bestatter in Augsburg in dieser Beschäftigung mit dem Tod durchaus einen Sinn sieht
Das sind besondere Workshops: Ein Schreiner in Bobingen baut mit Laien deren letzte Liegestatt und zeigt, wie man sich richtig zur Ruhe bettet. Warum ein Bestatter in Augsburg in dieser Beschäftigung mit dem Tod durchaus einen Sinn sieht.
Bobingen Ein Sarg ist das Letzte, was ein Mensch braucht. Aber er braucht ihn eben. Sogar wer sich verbrennen lässt, muss am Ende erst in eine Holzkiste. Denn es herrscht Sargpflicht in Deutschland, auch im Krematorium. Wer hätte das gedacht? So beschert uns der Tod am Ende immer noch eine Überraschung. Der Friedhof ist voll von solchen Geschichten. Wer mehr davon hören will, zimmere sich seinen Sarg selbst zusammen oder drechsle sich eine Urne. Zum Beispiel bei einem Workshop von Fred Theiner in Bobingen. Da hört man Spekulationen oder einfach nur Scherze über das Jetzt und das Jenseits.
Seit zehn Jahren beschäftigt sich der gelernte Schreiner und spätere Berufsschullehrer mit der Frage, wie man bei der letzten Ruhe richtig liegt. Eine lange, schwere Krankheit brachte Theiner dazu, über den Tod nachzudenken. Damals nahm er sich eine Auszeit auf einem Bauernhof in Südtirol und der Hausherr brachte ihn dazu, eine erste „Kiste“zu bauen. Viele weitere hat er seitdem mit anderen oder für andere gebaut, gab dazu sogar Volkshochschulkurse.
Wenn er nicht gerade andere kreative Projekte mit Holz verwirklicht oder an Figuren für einen Friedensweg schnitzt, scheint er mit dem Sargbau so beschäftigt, dass der Sensenmann keinen geeigneten Zeitpunkt fand, ihn abzuholen. Und Theiner schaut heute bestens aus, sprüht voller Ideen. Es steckt ein Künstler in ihm und ein Philosoph. Keiner seiner Särge gleicht dem anderen. Das hat viel mit demjenigen zu tun, dem er letztlich dienen soll.
Mit eingelegten Querbrettern und aufgestellt zum Regal hat ein Kursteilnehmer sein Werk in die Küche gestellt. Auf der Rückseite klebt eine Handlungsanweisung für den Fall seines Ablebens: „Marmelade raus, mich rein, Deckel zu. Auf Wiedersehen.“
Wie sehen das die Bestatter? Dieter Pribil bekam als Betriebsleiter des Instituts Friede, dem wohl größten privaten Unternehmen im Raum Augsburg, schon zu einigen Aufträgen den Hinweis, dass der Sarg schon fertig sei. „Ich kenne Herrn Theiner und weiß, dass er die Vorschriften genau beachtet.“Daher gebe es da kein Problem. Sogar ein gewisses Wohlwollen verbirgt Pribil nicht: „Es kann durchaus sinnvoll sein, wenn sich Menschen auf diese Weise mit dem Tod auseinandersetzen.“Wenn das allerdings viele machen würden, bekäme seine Branche ein Problem. Dann müsste sie die Bestattungs-Kalkulation völlig überdenken.
Das jüngste Exemplar aus Theiners Werkstatt ist jenem Sarg nachempfunden, in welchem 2005 Papst Johannes Paul II. im Petersdom aufgebahrt war. Konisch zulaufend, mit einem kleinen Kreuz auf der Oberseite, ansonsten aus astfreier Tanne, samtfein geschliffen. Schlicht und edel zugleich. Theiners eigener Sarg wirkt dagegen eher robust, entspricht seiner Bezeichnung von einer „schweren Kiste“– aber erfüllt auch alle amtlichen Vorschriften. Kein Bestatter dürfe sich weigern, ihn anzunehmen. Ganz aus Holz bzw. umweltverträglich abbaubaren Materialien muss er sein. Kein Lack oder schädlicher Leim darf verwendet werden. So schreiben es die Verordnungen vor.
Theiner will für sich auch keine Auskleidung mit billigster Importseide aus Asien. Ein Bett aus Zirbenholzspänen und Schafwolle bedeckt vielmehr den Boden seines Sargs. Der liegt in einem Stadl neben seiner Werkstatt. Die Sargnägel hat er aus alter Mooreiche geschnitzt, sie stecken schon in den Bohrungen, um später den Deckel zu halten. Die Griffe sind aus grobem Seil geflochten.
Einem anderen Exemplar hat der Tischlermeister vier Eisenringe an die beiden Seiten schmieden lassen. Dort wird jeweils eine Holzstange durchgeschoben. So werden einst mehrere großwüchsige wie kleinere Freunde den Verstorbenen mit festem Griff auf seinem letzten Weg zu Grabe tragen können. „Einen Sarg auf den Schultern zu tragen, funktioniert in der Praxis meist schlecht,“sagt der Schreiner.
So viel er über Bestattungsformen weiß, so wenig spricht Theiner über den Tod und die Gedanken, die er dazu hat. Umso mehr fällt Besuchern seiner Werkstatt ein. Kinder haben gar keine Scheu: Die Stadt schenkt Grundschülern und ihren Eltern Werkstattbesuche im Rahmen eines Bobinger Kulturpaketes. Dabei bleiben die Särge nicht verborgen. „Die Eltern verstummen dann, die Kleinen steigen da gleich rein“, hat Theiner beobachtet. Und ihnen fällt oftmals schnell was ein zu dem Thema. Eine Engelsgeschichte, ein Trauerfall oder die Frage, was ist, wenn sich der Deckel schließt.
Diese Frage, so weiß Theiner, sei in Kanada Gegenstand einer Psychotherapie: Menschen legen sich in einen Sarg, der Deckel wird zugeschraubt und etwas Erde darauf geworfen. Die Empfindungen und Gedanken böten viele Ansätze für eine weitere Behandlung.
Auch bei seinen Workshops beobachtet Theiner aufschlussreiche Szenen. Während der Arbeit gehe es den Teilnehmern aus der ganzen Region fast ausschließlich um handwerkliche Erfahrungen und vielleicht um scherzhafte Überlegungen, wie sie die Kiste bis zu ihrer Zweckerfüllung verwenden wollen: meist einfach aufgestellt als Truhe oder Regal in der Wohnung.
Später schneide in den Essenspausen dann meist doch einer Gedanken zum Tod, zum Danach oder dem Sinn vom Kommen und Gehen an. Und immer wieder einmal lege sich einer in seinen Sarg und wolle den Deckel von unten sehen. Dann brechen lebhafte Gesprächsrunden an zu Leben und Vergänglichkeit und was am Ende wirklich wichtig sei. Und das sei seltenst der Sarg. Der nächste Workshop bei Fred Theiner widmet sich am 20. und
21. April dem Drechseln einer eigenen Urne. Auskünfte unter Telefonnummer
0176/30145281.