Augsburger Allgemeine (Land West)
„Superfunkypartytime“– oder: Das Heimspiel
Die Wiener Indie-Helden von Bilderbuch eröffneten ihre Deutschlandtournee nicht ohne Grund in Augsburg
Was da draußen samt Riesenrad in der Ferne blinkt und dröhnt, ist zwar der Plärrer und nicht der Prater – aber spätestens drinnen ist Augsburg eh ein zweites Wien. Für Bilderbuch jedenfalls ist es seit Jahren ein Heimspiel fern der Heimat hier.
Kein Zufall jedenfalls, dass die Wiener jetzt, wo sie endlich den eigentlich längst vor den gehypten Ösi-Indie-Kollegen von Wanda verdienten Gold-Status erlangt und gefestigt haben, ihre Deutschlandtournee in Augsburg eröffnen. Dieser Samstagabend in der Kantine nämlich – so rechnet der jetzt auch ohne die zuletzt aufgetragenen Specials wie Goldglitzeranzug und blondiertes Haar die Bezeichnung Frontmann wirklich rechtfertigende Maurice Ernst vor – ist bereits ihr zehntes Konzert in der näheren Umgebung. Vom Jugendzentrum „U_Turn“in Schwabmünchen über Modular- und Singoldsand-Festival bis wiederholt zur Kantine: Bilderbuch waren hier schon Dauergäste, als zwar bereits Musikkritiker von ihnen schwärmten, aber das inklusive EP ja eigentlich bereits fünfte Album „Schick Schock“noch nicht mit Hits wie „Maschin“und „OM“für ihren Durchbruch gesorgt hatte. Alte Wirkungsstätte mit dem ebenfalls in den Hitparaden gelandeten neuen Album „Magic Life“nun also – und nur in Berlin war das Konzert noch schneller ausverkauft als hier. „Superfunkypartytime“also?
Genau. Und das nicht nur, weil einer der aktuellen Songs so heißt, den die Wahlwiener dann nach einleitendem Schlagzeugsolo und einer ganz neuen, natürlich bei dem Titel betont coolen Nummer namens „Mr Refrigerator“dann auch in der Kantine serviert. Sondern weil dieses Quartett so total drüber ist und doch mittendrein trifft, wie es dieses Effektwortungetüm in seiner Ironie treffend versinnbildlicht. Hä? Ja, eben: Bilderbuch sind ein bisschen Falco und ein bisschen Dada, können mit „Spliff“ausgiebig ein wuchtiges, olles Rock-Riff feiern, können samt modischem Autotune-Stimmverzerrer hymnischen R&B-Sound ausgerechnet zum Thema „Softdrink“, können groovigen HipHop, wie ihn Cro wohl gerne hätte, mit „OM“, können zum Auftakt der Zugaben ihr „Babylon“dann pathetisch zur Gospelmesse ausufern lassen samt beseelten „Halleluja“-Chören aus dem Publikum.
Warum? Weil Bilderbuch einfach den Style, den Charme und das Können haben? Ja, doch, schon. Weil Bilderbuch zudem auch über Songs wie „Bungalow“und „Baba“, „Maschin“und „Schick Schock“verfügen, mit denen sie das reine Partykracher-Mitsingbedürfnis eines solchen Konzerts befriedigen können? Gewiss. Und weil dieser Maurice Ernst eben einer ist, dem auch nicht so Bilderbuch-kundige Zuschauer gerne überallhin folgen und von ihm sogar durch waghalsige Jazz-Gesangs-Einlagen zu begeistern sind, siehe „sneakers4free“? Tatsächlich, auch das noch. Dass all das aber gerade nicht und niemals zu einer Popstar-Karriere führen wird, darf hier gerne als Ausweis genommen werden, dass „Indie“auch heute noch ein Qualitätsmerkmal sein kann. Eingängig, wirkungsvoll gerne, aber eben nicht glatt und rückstandslos nach Rezept. Ungefähr so, als würde fürs stimmungsvolle Lichtermeer beim Konzert plötzlich einer statt dem längst üblichen künstlichen Blinken von Smartphone-Lichtern zumindest einen Teich an Feuerzeuge-Flämmchen fordern (beim Ösi heißt das dann auch noch „Kerzen“!). Und ja, in der Kantine, mit Maurice und Bilderbuch funktioniert auch das – ein bisschen.
Schönes Heimspiel also? Ja. Man würde den Fans fürs bestimmt kommende nächste, dann elfte Mal hier statt des Gedränges in der Kantine eine größere Halle wünschen – und Bilderbuch ein Einsehen, dass es nur bedingt witzig ist, kurz zum Ende der knapp 100 Minuten „Mr Refrigerator“gleich noch mal zu spielen. Und wäre nicht auch eine Rückkehr des Goldglitzeranzugs fein? Am wichtigsten aber ist, dass bleibt: Hier tanzen Kids mit ihren Eltern.
Charme, Können und Style – auch ohne Goldglitzeranzug