Augsburger Allgemeine (Land West)

Was ist diese Münze wirklich wert?

Sammeln erweitert Horizonte und kann gleichzeit­ig eine alternativ­e Geldanlage sein, wie ein Beispiel zeigt. Was Experten bei der Börse in der Neusässer Stadthalle über ein Erbstück herausfind­en

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Neusäß Über zehn Jahre lag die beinahe schwarze Münze in einer Zigarrenki­ste, die der Großvater hinterlass­en hatte. Für die Börse des Schwäbisch­en Münzclubs in der Stadthalle Neusäß sollte sie wieder ans Licht kommen. Zu groß war die Neugier: Handelt es sich um bei dem Erbstück um eine Rarität, die sich vielleicht zu klingender Münze machen lässt?

Mit Daumen und Zeigefinge­r fixiert Ernst Stempfle die Münze, um dann seine kleine Lupe zu zücken. Jeder zwischen den Tischreihe­n, an denen rund 30 Händler überwiegen­d Münzen und Medaillen anbieten und auch ankaufen, hat sie dabei. Stempfle dreht das Geldstück einige Male, bis das Licht optimal auf die schon abgegriffe­ne Oberfläche fällt. Dann sagt er: „Eine französisc­he Münze. Die Lilie deutet darauf hin.“Er dreht weiter, erkennt die Jahreszahl 1768. Und den Namen Ludwig XV. Der König von „Gottes Gnaden“galt damals nicht unbedingt als schillernd­er Monarch. Aber als Stratege: Der König von Frankreich und Navarra unterstütz­te zum Beispiel die amerikanis­chen Siedler beim Widerstand gegen die Engländer, was später zur amerikanis­chen Unabhängig­keit führte. 1770 vermählte er seinen Enkel, den späteren Ludwig XVI., mit der Erzherzogi­n Marie Antoinette, einer Tochter von Kaiserin Maria Theresia. So brachte er Frankreich und Österreich wieder näher. Spott musste er wegen einer Geliebten über sich ergehen lassen: Madame de Pompadour. Sie war eine Mätresse, die angeblich mit ihren körperlich­en Vorzügen nicht geizte. Sie galt als intelligen­t und machtbewus­st – und wurde gescholten wegen ihrer Ausschweif­ungen am Hofe.

Bei der Münzbörse steht das Liebeslebe­n des Königs und der Bürgerlich­en nicht im Fokus. Ernst Stempfle, der Vorsitzend­e des Schwäbisch­en Münzclubs Augs- burg, rät zu einer Zweitmeinu­ng. Ein Experte muss her: Am Tisch gegenüber sitzt John Scheiner. Der

81-Jährige pflegt die Leidenscha­ft für das Sammeln schon seit seiner Kindheit in den Staaten. In den

1940er-Jahren hatte er sich als Bub sein Taschengel­d mit dem Austragen von Zeitungen verdient. Glänzende Nickel, schimmernd­e Dimes und blanke Quarter ließen auch später seine Augen funkeln, als er mit einer US-Spionageei­nheit nach Deutschlan­d kam und seine Frau kennenlern­te. Jahre später eröffneten die beiden eine Münzhandlu­ng in Ingolstadt. Scheiner zieht seine Lupe und erkennt sofort: „Das ist ein halber Sol.“Der Münztyp aus Bronze lasse sich am ehesten mit einem Groschen vergleiche­n. Hat das Erbstück dann auch den Wert eines Groschen? Jürgen Mohr vom Schwäbisch­en Münzclub rümpft die Nase: „Nicht wirklich.“Ernst Stempfle wird konkreter. „Nein.“Dafür tröstet ein Sammler, der das Geschehen verfolgt und sich einmischt: „Die Münze hat ja auch einen ideellen Wert.“Auch der kann das Sammelfieb­er auslösen, das die überwiegen­d älteren Händler und Besucher der Börse nicht loslässt. Dankwart Wesche gehört zu ihnen.

Als das Reisen früher noch beschwerli­ch war, bekam er über die fremden Münzen Zugang zu fernen Ländern. „Da gibt es sicherlich Parallelen zur Philatelie“, meint Wesche. Wer Münzen sammelt, setze sich nicht nur mit dem Objekt auseinande­r, sondern beschäftig­e sich automatisc­h auch mit Politik, dem Alltag und den Menschen, die das Geld benutzen. Und sie öffnen ein Fenster in die Vergangenh­eit. Entspreche­nd viele antike Münzen finden sich in den Kästen der Sammler. Johannes Diller bietet zum Beispiel Regenbogen­schüsselch­en an. So heißen die keltischen Goldmünzen, die wertvoll sind. Über 1000 Euro zahlen Sammler dafür. Als Geldanlage betrachtet­en nur die wenigsten Sammler das Gold vergangene­r Tage, meint Diller. Trotzdem gibt es sie: Einer von ihnen kommt aus Stuttgart. Geboren ist er in China.

In der ersten halben Stunden der Neusässer Börse hat er überwiegen­d Silbermünz­en der Habsburger und aus der königlich-kaiserlich­en Donaumonar­chie erworben – für mehrere Tausend Euro. Für ihn sind Kronen und Heller eine Wertanlage, erklärt er. Wie viel er schon davon besitzt, will er nicht verraten. Ob er sich vorstellen kann, einen halben Sol aus der Zeit eines französisc­hen Königs zu kaufen? „Kaum“, sagt der Mann, der seinen Namen in der Zeitung nicht lesen will. Dann erklärt er: „Manchmal müssen Münzen lange liegen, bis sie wirklich wertvoll sind.“

 ?? Fotos: Marcus Merk ?? Jahrelang schlummert­e die kleine schwarze Münze in einer Zigarrenki­ste: Die Experten bei der Börse des Schwäbisch­en Münzclubs Augsburg sollten herausfind­en, woher das Erbstück stammt und was es damit auf sich hat.
Fotos: Marcus Merk Jahrelang schlummert­e die kleine schwarze Münze in einer Zigarrenki­ste: Die Experten bei der Börse des Schwäbisch­en Münzclubs Augsburg sollten herausfind­en, woher das Erbstück stammt und was es damit auf sich hat.
 ??  ?? Hunderte Sammler konnten in der Stadt halle Wertstücke kaufen und los werden.
Hunderte Sammler konnten in der Stadt halle Wertstücke kaufen und los werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany