Augsburger Allgemeine (Land West)
„Ich wusste, dass ich nicht sterbe“
Der Allgäuer Felix Brunner überlebt einen schweren Bergunfall knapp und sitzt seitdem im Rollstuhl. Wie sein Leben heute aussieht und warum der Sport trotz Handicaps nicht zu kurz kommt
Hopferau Wer nach einem Bergunfall auf die Intensivstation der Unfallklinik in Murnau eingeliefert wird, ist dem Tod manchmal näher als dem Leben. Auf dieser Schwelle befand sich auch Felix Brunner aus Hopferau im Ostallgäu, als er im Januar 2009 ins Krankenhaus geflogen wurde. Die linke Körperhälfte des heute 28-Jährigen war zertrümmert, der Bauch offen, innere Blutungen gefährdeten sein Leben. „Die Ärzte gaben mir keine Hoffnung“, sagt Brunner. „Aber ich habe immer gewusst, dass ich nicht sterben werde.“Über seinen Leidensweg hat er ein Buch geschrieben. „Aufwachen – der Horizont ist nicht das Ende“ist keine reine Biografie, sondern ein Motivationsbuch. Von einem, der weiß, wie man sich wieder aufrappelt.
Brunner bezeichnet sich selbst als Organisationstalent. Vor dem Unfall hat er häufig eine interessante Kletterroute ausgesucht und seine Freunde zusammengetrommelt. Im VW-Bus ging es dann für ein Wochenende in die Berge, einige Male an den Gardasee.
An dem schicksalsträchtigen Tag macht der Bergsteiger eine Eisklettertour in den Tiroler Bergen. Seine Freunde sind diesmal nicht dabei. Brunner klettert mit zwei Bekann- ten die Route am österreichischen Haldensee. Auf dem Rückweg ist es dann passiert: Ein falscher Tritt und Felix Brunner fällt 30 Meter in die Tiefe. Er landet in einem Bachbett. Der Allgäuer schreibt in seinem Buch, dass er zunächst keine Schmerzen gespürt habe. Dann sei es im Bauchbereich angenehm warm geworden. „Ich wusste sofort, dass es innere Blutungen sein müssen“, erinnert sich der ausgebildete Bergretter.
Zu der Zeit macht Felix Brunner eine Ausbildung zum Krankenpfleger und hat einen großen Traum: Rettungsassistent auf einem Hubschrauber zu sein. „Ich war prädestiniert für diesen Job.“Statt anderen Menschen zu helfen, muss der junge Mann an diesem Tag seine eigene Rettung organisieren. Am Unfallort bleibt er noch bei Bewusstsein und erklärt seinen Kletterkameraden, was sie zu tun haben. Mit dem Hubschrauber wird er in die Klinik transportiert. Dann beginnt sein neues Leben.
Zwei Jahre ist der Allgäuer ein Pflegefall. „Aufs Klo gehen, waschen, essen. Nichts ging ohne Hilfe“, erzählt Brunner. Auf der Intensivstation liegt er acht Monate im künstlichen Koma, bringt 60 Operationen hinter sich, benötigt 800 Bluttransfusionen. Es folgen Rehabehandlungen. Nicht selten kommt nach einem Erfolgserlebnis ein Rückschlag. Was ihn am Leben hielt? Die Unterstützung seiner Eltern und „ein naiver, dummer Optimismus“. Brunner erklärt das so: „Egal wie schlecht es um mich stand, hatte ich ein Ziel vor Augen. Realistisch betrachtet, waren diese Ziele stets unerreichbar.“Da ist zum Beispiel diese Freundin, die für ein halbes Jahr ins Ausland gegangen ist und die er bei der Rückkehr eigenständig vom Flughafen abholen wollte. Der Gedanke daran habe geholfen, auch wenn es am Ende nicht geklappt hat.
Kein einziges Mal habe er von seiner Familie gehört, dass die Lage aussichtslos sei. Auf sein „Team“, so nennt Brunner seine Familie und Freunde, konnte er sich stets verlassen. Heute ist Felix Brunner gesund, lässt gerade ein Haus auf dem Nachbargrundstück seiner Eltern bauen. Er tourt mit seinem Buch durch Deutschland, berät als Motivationstrainer Unternehmen und hält Vorträge an Schulen.
Gesund bedeutet in seinem Fall nicht, dass sein Leben wie vor dem Unfall ist. Sein linkes Bein ist gelähmt, das rechte kann er kaum bewegen. Rückenbeschwerden werden ihn immer begleiten, da er an den Rollstuhl gefesselt ist. Mitleid möchte er nicht. „Warum auch? Mein Leben ist sogar noch ein bisschen besser als vor dem Unfall“, sagt Brunner. Denn auch mit Handicap geht viel – vor allem sportlich.
Der 28-Jährige bezeichnet sich nach wie vor als Bergkletterer. Er meistert die Höhenmeter nur auf andere Weise. 2013 überquert er mit seinem Handbike, eine Art Liegefahrrad aus den USA, die Alpen.
480 Kilometer und 12000 Höhenmeter sind nur mit der Hilfe seiner Familie möglich.
Nach einem Mono-Ski-Kurs fängt er 2012 an, für den Europacup zu trainieren. Ein Sportunfall wirft ihn erneut aus der Bahn. Diesmal die rechte Schulter, wieder wird er in die Unfallklinik nach Murnau eingeliefert. „Ich musste nun all das anwenden, was ich den Leuten bei meinen Vorträgen erzähle“, sagt Brunner. Die Folgen des Unfalls akzeptieren, an dem arbeiten, was möglich ist, und immer in Bewegung bleiben. Felix Brunner kämpft sich zurück und schafft im März
2017 beim Europacup den dritten Platz im Slalom. Auch bei seinem jüngsten Projekt bleibt Felix Brunner den Bergen treu. Für eine Reportage ist er in den USA unterwegs und testet dort das breite Angebot für Behindertensportler.
Wenn Felix Brunner seine Geschichte erzählt – und das tut er oft – ist er fokussiert, seine Gedanken sind geordnet. Als ob ein Schalter umgelegt wird und der Motivationstrainer erwacht. Als ob der Sportler keine Probleme kennt. Ganz so stimme das nicht, sagt Brunner. Auch er habe Tiefpunkte gehabt. Allerdings könne er eins gut: negative Gedanken abschütteln und nach vorn schauen.
Seine freie Zeit verbringt er am liebsten mit Hund und Handbike. Oder auch – wie sollte es anders sein – in den Bergen.
„Aufs Klo gehen, waschen, essen. Nichts ging ohne Hilfe.“
OVortrag Felix Brunner wird sein Buch „Aufwachen – der Horizont ist nicht das Leben“(5 Sterne Verlag, 19,99 Euro) auf der Augsburger Frühjahrs ausstellung vorstellen. Er ist am Freitag, 13. April, um 11 Uhr auf der Show bühne in Halle 1 zu sehen.