Augsburger Allgemeine (Land West)
„Zum ersten Mal hatte ich eine Polizei-Eskorte“
Ob einen die Sicherheitskräfte in Moskau beschützen oder bewachen, bleibt unklar
drei Dinge konnte ich mich ein Leben lang verlassen: Der HSV spielt immer Bundesliga, Amerika ist unser Freund und Deutschland übersteht jede WM-Vorrunde. Dann kam das Jahr 2018 und es waren nur noch …? Warten wir’s ab. Ich war beim Mexiko-Spiel in Moskau und habe erlebt, wie die Mannschaft von den Fans mit Applaus verabschiedet wurde. Dann liest man nach der Rückkehr Zeitung und glaubt, sie könne gar kein Fußball mehr spielen. Aus der Ferne sieht alles eben anders aus als aus der Nähe, zuweilen auch das eigene Leben. So ist es auch mit dem Land, in dem diese WM stattfindet. Wer als Deutscher trotz des 0:1 noch hinwill, der möge das bitte tun. „Es wurde sehr viel Negatives im Vorfeld berichtet, aber man kommt in ein gastfreundliches Land. Über einiges muss man halt hinwegsehen, es ist eben schon eine andere Welt“, sagte mir der 37-jährige Betriebswirt Thomas D. aus Schweinfurt, weit gereistes Mitglied im Fanklub der Nationalmannschaft. Ich kann bestätigen: Es wird für alles gesorgt – mit Sicherheit. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich eine PolizeiEskorte auf dem Weg zur U-Bahn. Ob sie mich jetzt beschützt oder bewacht haben, konnte ich den unbewegten Minen der Männer nicht ansehen. Und fragen hätte nichts gebracht; kein Mensch kann Englisch, jedenfalls keinen Satz mit Subjekt, Prädikat und Objekt. Eine Kellnerin lief wortlos davon, als ich fragte, ob ich mit Karte zahlen könne, und holte den Geschäftsführer, der immerhin nickte. Wie oft sich das am Tag wohl wiederholt hat?
Keiner will dir was Böses, auch wenn mancher so guckt. Am nettesten sind die Volunteers, junge Menschen, die gewiss noch bei ihren Eltern wohnen, strahlen eine Fröhlichkeit aus, die wir WestAuf europäer nicht direkt mit Russland verbinden. Sie erscheinen in mancherlei Gestalt: Es gibt die Abklatscher (mit überdimensionierten High-Five-Handschuhen), es gibt die lebenden Wegweiser mit ebenso großen Zeigefingern und es gibt die Pinselmädchen, die einem gratis die Landesfarben auf die Backen malen. Und alle lächeln sie und freuen sich, die Welt zu Gast zu haben. Wie die fitten Jungs und Mädchen im Fan-ID-Center. Wer die vorläufige in eine gültige FanID, den Visumersatz, umtauschen will, wird mit deutlicher Stimme vom Zelteingang zu einem von über 30 Schaltern geleitet. Man wird registriert und dann zu den Kollegen verwiesen, die in Windeseile einen Ausweis basteln. Die Ausgabe hat dann etwas von einer Raubtierfütterung. 60 bis 70 Menschen scharen sich um drei Volunteers, die von einer Empore deinen Namen brüllen. Wer aufs Fan-Festival oder ins Stadion geht, bekommt es am Eingang mit etwas ernster blickenden Uniformierten zu tun. Nie habe ich mich sicherer gefühlt als im Luschniki-Park, wo man sich aber nicht einfach auf eine Umrandungsmauer setzen darf. Dann kommt ein Soldat und knurrt: „Don’t sit here.“Immerhin ein vollständiger Satz. Einem Fan aus Würzburg haben sie den Tabak abgenommen, mit dem er sich eine Zigarette drehen wollte. Warum er nicht wenigstens die Plastiktüte behalten durfte? Keiner weiß es. Er wollte es aber wissen, und als er zu diskutieren anfing, wovor ausdrücklich zu warnen ist, standen plötzlich sieben Security-Leute um ihn herum. Ende der Debatte. Am und im Stadion also alles bestens organisiert, drum herum braucht man schon mal gute Nerven. Wie Thomas D. und seine zwei Freunde, die ein Apartment in Moskau gebucht hatten. Die Wirtin wollte die Reisepässe sehen, worauf sie vorbereitet waren. Sie kopierten die beschriebenen Seiten, hinterlegten sie bei ihr und nahmen ihre Pässe wieder mit auf ihren Ausflug. Da rief die Frau aufgeregt an, sie bräuchte auch die leeren Seiten, sonst gäbe es ein Problem mit der Ausreise. Das Trio war aber zwei Stunden von der Unterkunft entfernt und so wurden dutzende leere Seiten per SMS verschickt, damit der Form Genüge getan war. Ein Visum wollte die Dame auch noch sehen, von der Fan-ID hatte sie nie etwas gehört. Noch ist die WM nicht bei allen Russen angekommen.
● Udo Muras, 52, ist freier Journa list und hat unter an derem ein Buch über Gerd Müller geschrie ben. Zudem betreibt der gebürtige Frankfurter ein Fußball Archiv im Internet.