Augsburger Allgemeine (Land West)
„Wir sollten Migranten mehr teilhaben lassen“
Der Volkskundler Jens Schneider lobt die gelungene Integrationsarbeit in Augsburg. Dies liege vor allem an guten Nachbarschaften. Er gibt auch einen Tipp ab, wie die Stadt in Zukunft aussehen wird
Sie bezeichnen mehrere süddeutsche Städte, darunter Augsburg, als Musterbeispiele dafür, dass man vor Migration keine Angst haben muss. Weshalb?
Jens Schneider: Weil sie gut funktionieren, weil die Menschen sich in ihnen zu Hause fühlen – und das nicht weniger als in Rostock oder Chemnitz. Sie zeigen, dass der „Migrationshintergrund“keine Kategorie ist, die etwas darüber aussagt, wie gut oder wie schlecht es einer Stadt und den Menschen in ihr geht.
Stimmt also aus Ihrer Sicht der viel zitierte Satz „Wir schaffen das“von Frau Merkel?
Schneider: Wir haben es geschafft. Zwar war der Staat an vielen Stellen völlig überfordert, aber gerade in der Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Zivilgesellschaft sind doch eigentlich alle Probleme ganz gut bewältigt worden. Ereignisse wie in Köln oder Freiburg, aber auch Übergriffe auf Flüchtlinge wie in Torgau oder Cottbus sind glücklicherweise die Ausnahme geblieben. Die Regel ist nicht ohne Probleme oder Reibungen, aber eigentlich funktioniert es ziemlich gut.
Mitunter hat man aber auch in Augsburg den Eindruck, die unterschiedlichen ethnischen Gruppen bleiben weitgehend unter sich. Was kann man tun, um den Austausch zu fördern?
Schneider: Teilhabe ist zentral und dazu gehören auch deutlich ausgesprochene Einladungen. Auch symbolische Handlungen der Teilhabe sind wichtig, wie mehrsprachige Veranstaltungen oder gemeinsames Fastenbrechen usw. Vor allem die lokale Ebene ist wichtig, also die Nachbarschaften und Straßen und Hausgemeinschaften. Da machen oft einzelne Persönlichkeiten und Aktionen schon einen großen Unterschied.
Ist es denn sinnvoll, dass alle immer ins gesellschaftliche Leben eingebunden werden?
Schneider: Insgesamt rate ich zu Gelassenheit: Ethnische Communitys sind nichts Schlimmes, im Gegenteil. Sie leisten in aller Regel einen sehr wichtigen Beitrag zum Ankommen in der Gesellschaft und spätestens die Enkel orientieren sich weit überwiegend sowieso woanders hin.
Aktuell wird die Debatte um Asyl und Migration teils sehr scharf geführt. Wirkt sich das Ihrer Ansicht nach auf das Gelingen der Integration aus?
Schneider: Ja und nein. Das Gelingen der Integration ist davon nicht direkt betroffen, weil die Leute trotzdem Deutsch lernen und Arbeit finden möchten, aber sie vergiftet das Klima. Und sie bewirkt zum Beispiel die massiven Einschränkungen beim Familiennachzug, die sehr negativ wirken werden, und dass Menschen zum Teil irgendwo in Europa gestrandet sind und kaum eine Möglichkeit haben, zu ihren längst ansässigen Familien zu kommen.
Was sind die wichtigsten Faktoren für eine gelungene Integration?
Schneider: Strukturelle Teilhabe, also der Zugang zu Arbeit und Wohnen für die Erwachsenen und der Zugang zu Bildung und gerechten Bildungschancen für die Kinder. Dann noch soziale Kontakte, also die Möglichkeit, ein Gefühl von Zugehörigkeit entwickeln zu können, auch wenn sich viele nach zu Hause sehnen.
Wie sieht die Gesellschaft in Städten wie Augsburg in zehn oder vielleicht zwanzig Jahren aus?
Schneider: Mehr Einwohnerinnen und Einwohner mit „Migrationshintergrund“, von denen aber auch viel mehr „waschechte Augsburger“sind, weil sie oder sogar schon ihre Eltern in der Stadt aufgewachsen sind. Wir werden viel selbstverständlicher auf Menschen mit nichtdeutschen (Nach-)Namen stoßen, die aber Ärzte und Anwälte, Unternehmer und Führungskräfte, Politiker und Lehrer sind. Und wir werden uns hoffentlich abgewöhnt haben, als Allererstes zu fragen „Wo kommst du her? Ich meine, eigentlich?“
Jens Schneider, Jahrgang 1962, ist Ethnologe. Er arbeitet am Institut für Migrationsforschung und Interkul turelle Studien der Uni Osnabrück.