Augsburger Allgemeine (Land West)
Neuer Ort für Schmerz, Trauer und auch Wut
Nahe der Kolpingkapelle in Gersthofen wird ein Gedenkstein aufgestellt. Er erinnert an Kinder, die Opfer von Gewalt wurden
Nahe der Kolpingkapelle und dem Merkur-Tempel an der Berliner Straße in Gersthofen wird im Oktober ein Gedenkstein aufgestellt. Er erinnert an Kinder, die Opfer von Gewalt, die misshandelt oder missbraucht wurden und vermisst werden. »
Gersthofen An die Schwächsten der Gesellschaft soll ab Oktober ein Gedenkstein zwischen der Kolpingkapelle und dem Merkur-Tempel an der Berliner Straße in Gersthofen erinnern. Würde der Stein alle Namen der Kinder und Jugendlichen tragen, die Opfer von Gewalt, Misshandlung oder Missbrauch geworden sind, dann müsste er unfassbar groß sein. Laut polizeilicher Kriminalstatistik werden Tausende Kinder in Deutschland Jahr für Jahr Opfer von Gewalt. Die Realität erschütterte 2002 auch Gersthofen und die gesamte Region: Am Rosenmontag stieg ein junger Mann mit einer Maske in ein Haus und ermordete dort die zwölfjährige Vanessa.
Auf dem neuen Gedenkstein werden keine Namen stehen. Er bekommt vielmehr die Symbolik des Gedenksteins, der vor elf Jahren im Kurpark in Oberstdorf aufgestellt wurde. Ein tiefer Riss zieht sich durch den Stein. Auf der linken Hälfte ist die Kontur eines verfolgten und fallenden Kindes zu sehen – mit der Aufschrift „Wir wollten leben“bekommen Opfer eine Stimme. Auf der anderen Hälfte steht „Keine Gewalt gegen Kinder“– ein Erwachsener nimmt ein rennendes Kind mit zwei Armen auf und bietet Schutz. 2007 wurde der Gedenkstein von den Vereinen „Schaut hin!“und „Natalie und Sicheres Leben“, der Unterstützung der Tabaluga-Kinderstiftung und des Bundes deutscher Kriminalbeamter im belebten Kurpark von Oberstdorf aufgestellt.
Lothar Ostermöller aus Gersthofen, der damals Vorsitzende des Vereins Sicheres Leben, hatte die Ursprungsidee dazu. Er erinnerte 2007 an die Entstehung: Um die Forderungen für die Gedenkstätte begründen zu können, hätten sich die Helfer mit den Schicksalen der Opfer befasst. „Listen, die wir erstellten, wurden umso furchtbarer, je mehr wir sie vervollständigten. Mancher von uns schluckte bei dem Versuch, seine Gefühle im Zaum zu halten, ungeweinte Tränen hinunter. Besonders dann, wenn wir bei den Berichten die frischen und fröhlichen Gesichter von Kindern vor uns hatten, die furchtbares Leid erdulden mussten und außer bei ihren Angehörigen nur noch als Namen existieren.“
Auf die Anfänge kam im vergangenen Jahr auch Gabriele Schmidthals-Pluta, die aktuelle Vorsitzende des Vereins Sicheres Leben Gersthofen mit Bürgerinitiative Vanessa gegen Gewalt und für Opferschutz, zu sprechen: „Wir wollten eine Stätte schaffen, an denen die Betroffenen und Hinterbliebenen ihren Schmerz und ihre Trauer, ihre verlorene Kindheit und auch die Wut über die bleibenden Wunden ablegen können. Wir wollten eine Stätte schaffen, die betroffen macht. Sie soll auffordern, sich der Problematik zu stellen, denn: „Wir wollen keine Gewalt gegen Kinder.“
Steinmetz und Bildhauermeister Thilo Probst aus Kempten war von dem Projekt so ergriffen, dass er jetzt zusagte, die Kosten für einen weiteren Gedenkstein zu übernehmen. Er soll am 20. Oktober um 12 Uhr in Gersthofen bei der Kolpingkapelle eingeweiht werden.
Unter den Gästen wird auch Dr. Ralf Kownatzki sein: Der Kinderarzt aus Duisburg-Hamborn steht hinter dem Projekt Riskid (RisikoKinder-InformationssystemDeutschland), das ist ein dateibasiertes elektronisches Informationssystem für Kinder- und Jugendärzte. Es fordert unter anderem Anerkennung und gesetzliche Grundlagen, dass Kinderschutz vor Datenschutz gestellt wird. Gabriele Schmidthals-Pluta und der Verein Sicheres Leben schließen sich dem an: „Wir fordern die Verantwortlichen in der Politik auf, sich diesen Tatsachen endlich zu stellen, die vorgeschlagenen Möglichkeiten durch Riskid – nämlich Missbrauch, Vernachlässigung, Misshandlung im häuslichen Bereich an unseren Kindern – zu minimieren.“