Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein Botschafter für Inklusion
Leon Burckgard ist schwerstbehindert. Trotzdem hat er eine Ausbildung absolviert und hofft auf einen festen Job. Sein Beispiel zeigt: Für Menschen mit Handicap ist der Weg auf den Arbeitsmarkt schwierig
Leon ist ein sympathischer junger Mann mit viel Humor und jeder Menge Ehrgeiz. Erst vor Kurzem hat er seine Ausbildung zum Fachpraktiker für Bürokommunikation gemacht und sie mit guten Noten bestanden. „Das macht mich schon stolz“, sagt er mit einem bescheidenen Lächeln. Auch deshalb, weil er für die Ausbildung hart kämpfen musste – viel härter als die meisten anderen Jungs in seinem Alter. Denn Leon ist seit seiner Geburt zu 90 Prozent schwer behindert und damit auf dem „normalen“Arbeitsmarkt kaum vermittelbar.
Dass es ihm gelungen ist, beim Tierschutzverein Augsburg einen Ausbildungsplatz außerhalb einer Behinderteneinrichtung zu finden, ist den Erfahrungen seiner Mutter nach etwas Besonderes. „Das ist außer ihm nur noch einem anderen Klassenkamerad der Fritz-Felsenstein-Schule gelungen“, berichtet Martina Jentsch. Dass es so gekommen ist, hat der 22-Jährige, der wegen Sauerstoffmangels bei seiner Geburt mit motorischen und kognitiven Einschränkungen leben muss, auch Eva Hohner, Integrationsberaterin beim Integrationsfachdienst Schwaben (IFD), zu verdanken. Die Expertin hat sich dafür starkgemacht, Leon an einen Ausbildungsbetrieb zu vermitteln. Keine leichte Aufgabe wie sie berichtet: „Man begegnet dabei jeder Menge Vorurteile.“Das kennt man auch bei der Agentur für Arbeit. „Eine Vermittlung kann gelingen, aber man muss viel Überzeugungsarbeit leisten“, so Leiterin Elsa Koller-Knedlik. Zwischen Januar und Juli dieses Jahres sind 1887 Menschen mit Behinderung in einen Job vermittelt worden. Nur rund 16,7 Prozent von ihnen in eine Stelle auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt. Bei Menschen ohne Behinderung liegt diese Quote bei etwa 32 Prozent.
Leon hatte Glück. Mit Sabina Gaßner vom Tierschutzverein wurde eine Ansprechpartnerin gefunden, die sofort bereit war, ihn auszubilden. „Wir wollen unserem sozialen Auftrag nachkommen und jedem eine Chance geben“, sagt sie. Leons Einstellung habe sie nicht bereut. „Er arbeitet gewissenhaft und mit viel Geduld. Das ist bei den ihm übertragenen Aufgaben wichtig.“So pflegt der junge Mann die Tierdatenbank des Tierheims und meldet Tiere beim Deutschen Haustierregister an. Er übernimmt den Telefondienst und kümmert sich um die Ablage von Dokumenten. „Als er während der Prüfungszeit weg war, hat uns seine Arbeitskraft richtig gefehlt“, beschreibt Gaßner.
Sie will aber nichts schönreden und gibt offen zu, dass es auch Schwierigkeiten gibt. „Leon tut sich schwer, Post mit dem Brieföffner zu öffnen und spricht langsamer. Aber wir sind mit seinen Einschränkungen sehr offen umgegangen und haben nicht ihn an das Aufgabenfeld, sondern das Aufgabenfeld an Leon angepasst.“Das hat geklappt. „Mir
gefällt meine Arbeit sehr gut und auch mit den Kollegen verstehe ich mich“, berichtet Leon. Sie stünden auch stets hinter ihm. „Einmal hat am Telefon jemand gesagt, dass er mit Behinderten nicht spricht. Da habe ich einfach aufgelegt und war unsicher, ob das richtig war. Meine Kollegen haben meine Reaktion aber verstanden “, erzählt er.
Leon ist ein positives Beispiel, wie Inklusion gelingen kann. Sabina Gaßner sagt: „Er ist eine Art Botschafter“. Sie wünscht sich, sein Beispiel würde mehr Betriebe dazu animieren, Menschen mit Handicap eine Chance zu geben.
Das findet auch Eva Hohner vom Integrationsfachdienst und erklärt, woran es ihrer Meinung nach meist hapert: „Viele Betriebe scheuen die Auseinandersetzung mit der Behinderung.“Deshalb setzt Hohner auf das persönliche Gespräch. „Wenn ein Chef einen Menschen einmal kennengelernt hat, ist die Bereitschaft, ihn einzustellen, oft deutlich größer“, weiß sie aus Erfahrung. Auch das Thema Fördergelder und Zuschüsse sei ein Ass im Ärmel. „Das ist für uns zwar immer etwas schwierig, denn wir wollen unsere Klienten ja nicht verkaufen. Andererseits sehen wir das trotzdem als Chance für sie, im Arbeitsleben Fuß zu fassen.“
Leon ist das beim Tierschutzverein gelungen. Dennoch gab und gibt es Hürden, die seinen beruflichen Werdegang schwieriger machen. Weil es für den Fachpraktiker für Bürokommunikation bei der IHK Schwaben keine Prüfungsabnahme gibt, stand sein Abschluss kurzzeitig auf wackeligen Beinen. Dem Einsatz von IHK-Ausbildungsexpertin Josefine Steiger ist es zu verdanken, dass Leon die Prüfung schließlich als Externer im Berufsbildungswerk der Stiftung ICP in München bei der IHK Oberbayern machen konnte.
Jetzt der nächste Stolperstein: Es geht es um seine Übernahme beim Tierschutzverein. „Wir wollen Leon gerne behalten, aber auch angemessen bezahlen. Nur müssen wir dieses Gehalt als gemeinnütziger Verein auch irgendwie erwirtschaften“, erklärt Gaßner. Sämtliche Fördermittel, die zur Integration behinderter Menschen in den Berufsalltag zur Verfügung stehen, würden in Leons Fall bislang nicht greifen. „Egal, wie wir es drehen und wenden, wir fallen gerade durch alle Raster“, beschreibt Mutter Martina Jentsch. Von vielen hochgelobten Gesetzen und Fördertöpfen ist sie enttäuscht. „Bei der Agentur für Arbeit zum Beispiel haben sich die Aussichten auf finanzielle Förderung sehr schnell in Luft aufgelöst und auch das Bundesteilhabegesetz greift bei Leon nicht“, ist sie frustriert. Für sie ist schwer zu verstehen, dass eine Übernahme an Fördermitteln scheitern könnte. Auch Leon selbst bangt: „Ich mag den Job und will nicht nur zu Hause rum sitzen.“
Um das zu verhindern, versucht Chefin Sabina Gaßner nun beim Bezirk Schwaben ihr Glück. Hier ist sie mit dem Inklusionsbeauftragten Stefan Dörle an einen engagierten Mitarbeiter gekommen, der mit ihr nach einer Fördermöglichkeit sucht. „Der Einsatz all dieser Menschen ist nicht selbstverständlich. Aber ohne sie hätte Leon kaum eine Chance“, ist Martina Jentsch dankbar. Leon selbst sagt: „Man darf niemals aufgeben. Ich werde einen Job finden.“
Man begegnet bei der Jobsuche vielen Vorurteilen
Aufgeben kommt für Leon nicht in Frage