Augsburger Allgemeine (Land West)
Es wird eng für den Aal
Der Fisch zieht zigtausende Kilometer, überlebt an Land, hat giftiges Blut – und ist akut bedroht
Einen merkwürdigeren Fisch gibt es in unseren Breiten wohl nicht: Der Aal kommt in fast allen Arten von Gewässern vor. Sogar an Land kann er einige Zeit überleben und dort während seiner zigtausend Kilometer langen Reise in die Laichgewässer sogar wandern. Er ist seit Jahrhunderten ein beliebter Speisefisch – trotz seines Bluts, das ein Gift enthält, welches, wenn es nicht durch Erhitzen unschädlich gemacht wurde, Erbrechen, Übelkeit und Fieber verursacht. Doch obwohl der Aal so widerstandsfähig und wenig wählerisch ist, sind seine Bestände in den vergangenen Jahren dramatisch gesunken.
„Mittlerweile kommen in Europa nur noch etwa fünf Prozent der Jungaale an, die in den 70er Jahren gezählt wurden“, sagt Reinhold Hanel, der Leiter des Thünen-Institutes für Fischereiökologie in Bremerhaven. Genaue Bestandszahlen sind nicht bekannt – dazu sind der Weg und das Leben des Aals zu komplex und zu schwer nachzuvollziehen. Es gibt vieles, das man nicht weiß. Zum Beispiel ist unklar, wie genau die Aallarven ihre tausende Kilometer lange Reise von den Laichgründen in der Sargassosee im West-Atlantik bewältigen: Jedes Exemplar, das in Deutschland gefangen wird und geräuchert auf dem Teller landet, stammt aus einem Gebiet südöstlich von Bermuda. „Es gibt wenige andere Fischarten, die so weite Wanderwege zurücklegen“, sagt Hanel. Mehr als 16 000 Kilometer schwimmen viele Aale in ihrem Leben.
Dabei wechseln sie auf dem Weg in die europäischen Flussgebiete vom Salz- ins Süßwasser und für ihre spätere Laichwanderung zurück ins Meer. Vermutlich liegen auf diesem langen Weg die Ursachen, warum der Bestand so eingebrochen ist. Weil noch längst nicht alle Flusskraftwerke mit Auf- und Abstiegshilfen ausgestattet sind, schwimmen jedes Jahr abertausende Aale ungehindert in die Turbinen – und werden regelrecht gehäckselt.
Außerdem macht den Fischen ein 1982 aus Asien eingeschleppter Parasit zu schaffen: Der Wurm nistet sich in der Schwimmblase der Fische ein. Daher brauchen sie für das Schwimmen mehr Energie und kommen wahrscheinlich nicht mehr in ihren Laichgründen an. Mittlerweile gilt der Europäische Aal als vom Aussterben bedroht.
Andere Länder, allen voran Irland, beschlossen bereits Fangverbote. Deutschland nicht. Die Europäische Union (EU) hat mit verschiedenen Maßnahmen versucht, den Aal zu schützen. Im Jahr 2007 gab es den Beschluss, dass jeder Mitgliedstaat Managementpläne für seine Bestände entwickeln muss. Seitdem hat sich für deutsche Fischer viel verändert: „Beim Aalfang gibt es jetzt erheblich mehr Bürokratie als bei anderen Fischarten“, sagt der Sprecher des Deutschen Fischereiverbandes, Claus Ubl. Jeder Aalfischer müsse gelistet sein und seine Fangmengen dokumentieren. Als Folge seien die Fangmengen aus deutschen Flüssen deutlich zurückgegangen, von 769 Tonnen im Jahr 2007 auf 463 Tonnen im Jahr 2016.
Der Bestand befindet sich nach Einschätzung des Thünen-Instituts dennoch weiter auf geringem Niveau. Einem zu geringen, meinen Experten. Der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) empfiehlt seit langem, die von Menschen verursachte Sterblichkeit der Aale so gering wie möglich zu halten. Die EU schlug im vergangenen Jahr ein Aalfang-Verbot für die Ostsee, Nordsee und das europäische Atlantikgebiet vor. Eine Einigung dafür gab es aber nicht, am Ende stand ein Kompromiss: Statt eines generellen Verbots beschlossen die Minister eine dreimonatige Schonzeit, die jedes Land individuell zwischen Ende September und Ende Januar legen darf. Umweltschützer kritisieren die Entscheidung. „Wir schlagen vor, dass der Aalfang für ein paar Jahre komplett eingefroren wird, damit sich der Bestand erholen kann“, sagt Stefanie Sudhaus, MeeresschutzReferentin vom Bund für Umwelt und Naturschutz. Deutschland habe sich dazu entschlossen, den Aalfang von November bis Januar einzustellen, wenn sowieso nur wenige Aale abwanderten.
Bei Verbrauchern ist Aal als Speisefisch nach wie vor beliebt, auch wenn das Bundesinstitut für Risikobewertung von wild gefangenem Aal wegen der hohen Schadstoffbelastung abrät. Die meisten verzehrten Aale stammen aber inzwischen aus der Zucht. Wobei Zucht nicht ganz richtig ist. Bisher gibt es keine Möglichkeit, Aal-Larven aufzuziehen – es mangelt am passenden Futter, die Larven verhungern nach einiger Zeit. Für die Aufzucht werden Jungtiere abgefischt, wenn sie als sogenannte Glasaale nach ihrer Reise durch den Atlantik die europäische Küste erreichen.
Zudem werden jährlich tausende an der europäischen Küste gefangene Jungfische in deutschen Flüssen ausgesetzt, um die Managementpläne der EU zu erfüllen. Allein in der Elbe waren es seit 2006 mehr als zwei Millionen Tiere. Wie effektiv diese Maßnahmen sind, ist fraglich: Ein großer Teil der Jungtiere stirbt bei der Umsetzung. Ein weiteres Problem ist der illegale Handel mit Glasaalen: Strafverfolgungsbehörden gingen im März davon aus, dass in der laufenden Fangsaison mindestens 110 Millionen von Europa nach Asien exportiert wurden – obwohl das seit 2010 verboten ist.
Wyona Schütte, dpa; maz-