Augsburger Allgemeine (Land West)
Wenn das Tierwohl im Urlaub auf der Strecke bleibt
Tierschutz Erlebnisse mit Tieren stehen bei Touristen hoch in Kurs. Warum der Reiseveranstalter Thomas Cook, die Shows eines Zoos auf Teneriffa aus dem Programm genommen hat
Der Tierpark Loro Parque ist seit mehr als 40 Jahren so etwas wie ein „Must“jedes Aufenthalts auf Teneriffa. So steht es in jedem Reiseführer. 2017 und 2018 wurde der Park von der Bewertungsplattform Tripadvisor zum „besten Zoo der Welt“gekürt. Allein im vergangenen Jahr zählten die Betreiber die Rekordzahl von mehr als 1,1 Millionen Gästen. Das könnte sich bald ändern. Vor 18 Monaten hat der britische Reisekonzern Thomas Cook eine neue Tierschutzrichtlinie eingeführt, die besagt, dass alle Tierattraktionen in seinem Programm den Tierschutzstandards des britischen Reiseveranstalterverbands Abta entsprechen müssen, was durch unabhängige Prüfungen verifiziert wird. Seitdem hat der Reisekonzern 49 Tierattraktionen überprüft und 29 aus dem Programm genommen.
Ob Schwimmen mit den Delfinen oder das ebenso umstrittene Reiten auf Elefanten: Erlebnisse mit Tieren stehen bei Touristen hoch im Kurs. Auch Europas größter Reisekonzern Tui setzt sich seit 2013 verstärkt für das Tierwohl ein und hat beispielsweise alle Anbieter für Elefantenreiten aus dem Programm genommen. Der Veranstalter Thomas Cook kündigte nun an, ab Sommer 2019 Anbieter zu streichen, die Orcas halten. Das betrifft neben den Themenparks von Sea World in den USA auch den Loro Parque – und das, obwohl der Park die Richtlinien „Global Welfare Guidance for Animals in Tourism“der Abta erfüllt.
Friederike Grupp, Referentin Nachhaltigkeit bei Thomas Cook erklärt die Beweggründe des Unternehmens: „Umfragen unter unseren Kunden haben ergeben, dass Tierschutz für 90 Prozent eine wichtige Rolle spielt und dass sie von ihrem Urlaubsanbieter erwarten, sich dafür zu engagieren“. Das wirtschaftliche Ausmaß der Entscheidung von Thomas Cook wird klar, wenn man sich vor Augen führt, dass in den vergangenen 45 Jahren mehr als eine Million Besucher über den Veranstalter den Loro Parque besuchten.
Die Argumente gegen die Haltung von Tieren wie Orcas in Parks sind indes erdrückend. „Delfine, zu denen Orcas zählen, sind extrem sensible, soziale und intelligente Wesen. Sie können in Gefangenschaft nicht artgerecht gehalten werden“, sagt Adeline Fischer von der Münchner Tierschutzorganisation Pro Wildlife. Die Tiere haben extremen Bewegungsdrang, in freier Wildbahn schwimmen sie täglich bis zu 100 Kilometer. Außerdem sind Musik und Lärm während der Shows wegen der extrem empfindlichen Sinnesorgane für sie „eine furchtbare Qual“, sagt Fischer. Viele Delfine würden in Gefangenschaft aggressiv und depressiv. „Es gab schon Tiere, die untergetaucht und nicht mehr aufgetaucht sind. Bei Menschen würden wir von Suizid sprechen.“
Im Loro Parque gab zwei bekannte Zwischenfälle mit Orcas: 2007 wurde eine Trainerin von einem Orca attackiert, am Weihnachtstag 2009 der Orca-trainer Alexis Martínez von einem Tier erdrückt. Gleichzeitig gilt der Loro Parque als einer der fortschrittlichsten Tierparks weltweit. In den vielen Auszeichnungen ist von vorbildlicher Tierhaltung die Rede. Die Betreiber weisen außerdem auf die 1994 gegründete Loro-parque-stiftung hin, die bisher mehr als 16 Millionen Euro in 150 Naturschutzprojekte weltweit investiert hat – darunter auch solche, die die etwa 50 000 in den Weltmeeren lebenden Orcas schützen. Zehn Prozent von jedem Ticket fließen in die Stiftung.
Und dann sind da die Tiere selbst. Zum Beispiel Morgan: Im Juni 2010 wurde das junge Orca-weibchen im flachen Wasser vor der niederländischen Küste entkräftet aufgefunden. Nach einer Odyssee landete das schwerhörige Tier im Loro Parque und wurde erfolgreich in die Gruppe von sechs Orcas integriert. Seit Dezember 2017 sei Morgan sogar trächtig. Er wisse, sagt Wolfgang Kiessling, Gründer des Loro Parques und heute Präsident des Parks, dass Orcas auf Nahrungssuche oft riesige Entfernungen zurücklegen. Bei vielen Tieren, die in Menschenobhut leben, gehe es aber nicht darum, ob sie täglich hunderte Kilometer zurücklegen oder lebend Fisch fangen können. „Es geht um das Wohl der Tiere, und wir sind uns absolut sicher, dass sich unsere Tiere wohlfühlen“, sagt Kiessling.
Dieses Argument führen Parkbetreiber immer wieder an: Sie halten die Tiere im Interesse des Artenschutzes und um neue Erkenntnisse zu gewinnen. „In den vergangenen 100 Jahren hat sich die Menschheit vervierfacht und dies zulasten der Natur und der wild lebenden Tiere. Diese Tiere benötigen mehr denn je eine Vertretung“, ist sich Kiessling sicher. „Gäbe es keine Zoos, so wäre es das Dringendste, das man auf der Welt einrichten müsste.“
Doch ist es wirklich zeitgemäß, solch gewaltige und intelligente Tiere in künstlich angelegten Becken zu halten? „Das Arche-noah-prinzip wirkt sinnlos, sobald klar wird, dass die meisten gezüchteten Arten nicht ausgewildert werden können“, sagt Tierschützerin Adeline Fischer. „Anstatt künstliche Populationen aufrechtzuerhalten, sollten besser die Lebensräume samt ihren Bewohnern geschützt werden. Heute gibt es Reportagen und für viele Menschen die Möglichkeit, die Tiere in freier Wildbahn zu beobachten.“
Bedrohte Tiere als Attraktion zu vermarkten und sie gleichzeitig zu schützen ist auch in freier Wildbahn ein schwieriger Spagat. Begegnen sich Mensch und Tier, zieht die Kreatur in der Regel den Kürzeren – wie im Fall des Eisbären auf Spitzbergen, der nach einem Angriff auf das Crewmitglied eines Expeditionsschiffes erschossen wurde. In den sozialen Medien erlebte der Veranstalter einen „Shitstorm“. „Wer gehört auf Spitzbergen nicht hin: die Kreuzfahrtschiffe oder die Eisbären?“, war noch einer der freundlichen Kommentare. Das Gegenargument: Nicht nur in Afrika trägt der Tourismus zur Arterhaltung bei. Doch die Bedingungen müssen stimmen. Und manche Geschäftsmodelle erledigen sich von selbst: 2017 wurde das letzte Orca-junge in der Gefangenschaft eines Sea-world-parks geboren.