Augsburger Allgemeine (Land West)
Wenn der Regionalzug zum Wiesn-Express wird
Verkehr Lederhosen, Dirndl und große Pläne: Zu Oktoberfestzeiten herrscht auf der Fahrt nach München schon Volksfest-Stimmung. Für „Zivilisten“ist das nicht immer eine Gaudi
Der Zug vom Augsburger Hauptbahnhof fährt an diesem Nachmittag pünktlich um kurz nach 16 Uhr ab. Eine Gruppe junger Leute hat es gerade noch geschafft. Keuchend lassen sie sich auf die blauen Sitze fallen. Als der Regionalexpress nach München abfährt, beginnt das Wühlen nach dem Kugelschreiber. Die meisten, die heute zum Münchner Hauptbahnhof wollen, sind mit dem Bayernticket unterwegs. Man muss darauf die Namen eintragen. Wohin? Zum Oktoberfest natürlich.
„Wir gehen schon so fünf bis acht Mal“, erzählt Sylvana, die mit zwei Freunden unterwegs ist. Alle tragen Tracht. „Das ist ein Muss“, findet Corinna. Schließlich sei das eine gute Möglichkeit, Lederhosen und Dirndl auszuführen. Zehn verschiedene hat Sylvana im Schrank. Heute hat sie sich für ein hochgeschlossenes, eher klassisches Model entschieden. Die Stimmung bei den Dreien ist gut. Die Fahrt zur Wiesn ist ein fester Termin im Kalender. Das Event darf dann auch etwas kosten. „Wenn man auf die Wiesn fährt, darf man nicht aufs Geld schauen“, meint Andi. „Sonst macht das keinen Spaß.“Ein anderer Fahrgast rechnet vor: „Vier bis fünf Maß à zwölf Euro plus Essen und vielleicht ein Fahrgeschäft: 100 Euro sind da schnell weg an so einem Abend.“
Ganz so viel haben Alicia Zeller und Anna Schütz nicht dabei. Aber auch für sie ist der jährliche Oktoberfestbesuch ein Muss. „Meine Mama ist Münchnerin“, sagt Anna Schütz. „Ich bin damit groß geworden, dass wir auf die Wiesn gegangen sind.“Etwa eineinhalb Stunden haben sich die beiden für den Abend hergerichtet, geschminkt und aufwendig die Haare geflochten. Sie haben Glück und treffen sich mit Freunden an einem Tisch im Zelt. „Da ist das Feeling super. Einmal im Jahr auf den Bierbänken stehen gehört einfach dazu.“Andere müssen hoffen, einen der begehrten Plätze im Zelt zu ergattern.
Nächster Halt: Augsburg Hochzoll. Am Bahnsteig, wo man hinschaut: Lederhosen und Dirndl. Als alle zugestiegen sind, werden die Sitzplätze im Regionalexpress langsam knapp. Wieder wird in Handtaschen nach Kugelschreibern getastet. Der eine, der im Waggon aufgetrieben wurde, wird an die Bayern- ticket-Reisenden durchgereicht. Auch die Niedermayrs sind zugestiegen. „Wir sind jedes Jahr geschäftlich und privat auf dem Oktoberfest“, sagt Uli Niedermayr. Schon im Januar reserviert er die Tische in den Zelten für sich und seine Geschäftspartner. Und die reisen aus den USA an, um beim bayerischen Spektakel dabei zu sein. „Das ist einfach eine tolle Atmosphäre. Schöne Zelte. Und die Stimmung ist gut und gelöst“, sagt Niedermayr.
Nicht für alle sind die vollen Waggons zur Wiesnzeit eine Gaudi. Besonders die Züge, die abends den Münchner Hauptbahnhof verlassen, verlangen den Fahrgästen in zivil einiges ab. Mit flauem Magen sollte man sich genau überlegen, ob man die Bier getränkte Luft aushält.
Florian Kapfer pendelt die Strecke zwischen Augsburg und München täglich zur Arbeit: „Da wird schon vormittags im ICE das erste Bierfass niedergemacht und abends reist man mit einer Mischung aus Lazarettzug und Neandertalerexpress. Mich wundert vor allem, wie das die Mädels aushalten. Ich werde nächstes Jahr definitiv versuchen, Urlaub zu nehmen zur Oktoberfestzeit.“
Während es einige also kaum abwarten können bis zum nächsten Jahr, werden andere am Sonntag, wenn das Oktoberfest vorbei ist, erst einmal erleichtert aufatmen.
Ein Pendler wünscht sich Urlaub