Augsburger Allgemeine (Land West)
Wiesn-Gaudi im Untergrund
Oktoberfest Wie Norbert Grünleitner an der U-Bahn-Station Theresienwiese mit Witz, Charme und Dialekt für Ordnung sorgt
München Die wahre Attraktion in München findet man dieser Tage nicht auf der Wiesn, sondern unter der Wiesn. „Das längste Fahrgeschäft“, tönt es aus den Lautsprechern an der U-Bahn-Station Theresienwiese. „Des hot da droben keiner. Und mir fahren net im Kreis, da werds eich net schwindlig.“Die Stimme gehört zu Norbert Grünleitner. Sein Job: Schauen, dass alles rollt, sagt er. An der Haltestelle, die während der Wiesn-Zeit oft zur vollsten der Stadt wird. Grünleitner regelt den Andrang, koordiniert Mitarbeiter und sorgt für Ordnung in einem Chaos, in dem nicht nur die Rolltreppen voll sind, sondern auch manche Wiesn-Besucher.
Vor allem die, die ein paar Bier intus haben, will er erreichen, wenn er Sätze ins Mikro spricht wie: „50 Meter oder 60 Schritte, mit a paar Maß 70 Schritte, bis zur Bahnsteigmitte.“Denn die meisten fahren von der Theresienwiese aus die Rolltreppe hinab – und bleiben stehen. So sind die Züge vorne leer und hinten voll und am Bahnsteig gibt es Stau. Also alles ab in die Mitte, dort, wo Grünleitner in einer Kanzel mit Glasfenstern sitzt und alles im Blick hat. „Ihr könnt’s auch auf allen vieren zu mir krabbeln. Aber aufpassen auf die Finger, net dass da Nachbar mit die Haferlschuah draufsteigt.“
So, wie er sich hier in seinem schwarzen Drehstuhl zurücklehnt, ein Bein über das andere schlägt und das Mikro in seiner Hand hin und her dreht, genau so klingen seine Anweisungen an die Fahrgäste. Locker, ruhig, bayerisch-gemütlich. Denn: „Mit Bundeswehrmanier erreichst die net.“Bis zu 3,8 Millionen Menschen nutzen laut Grünleitner während der Wiesn die U-Bahn, etwa 3000 bringt er innerhalb von zehn Minuten von der Station weg.
Eine kleine, blonde Frau mittleren Alters stellt sich vor seine Kanzel, grinst und winkt. Grünleitner bückt sich vor, drückt den Sprechknopf und fragt, wie er helfen könne. „Du host gsogt, mir sollen kema, jetzt bin i do“, sagt die Frau, lacht und Grünleitner lacht mit.
Er ist der Gesamteinsatzleiter für das U-Bahn-Netz rund um das Oktoberfest. Das sind vier U-Bahn-Linien und mehrere Haltestellen wie Goetheplatz oder Hauptbahnhof. Er beobachtet drei Monitore, vier Telefone, ein Funkgerät, bedient das Mikro, scherzt mit Kollegen und nimmt Glückwünsche zum Geburtstag entgegen. 51 wird er an diesem Tag.
Bis zu 200 Leute sind laut Grünleitner oft gleichzeitig im Einsatz, Disponenten, Schaffner, Fahrer und Sanitäter zum Beispiel. Ob die das freiwillig machen? Grünleitner lächelt, nickt und greift kurz zum Mikro. Er muss einen Zug weiterschicken. „Auf geht’s, einsteigen. Den Rest machen mia für eich mit unserem kleinen Taxiunternehmen“, sagt er. Ein Mann im Trachtenjanker läuft vorbei und reckt den Daumen hoch. „Bitte zurückbleiben.“Diese Worte müssen fallen, damit der Zug losfährt. Ja, die Mitarbeiter, sagt er, machten das freiwillig. Einmal Wiesn, immer Wiesn, man wachse zusammen. Dann wechsle man zum Beispiel von seinem Stellwerksjob auf den Bahnsteig. Für ihn ist es heuer die 22. Wiesn. Seit mehr als 15 Jahren ist er Ansager, beim ersten Mal hätten die Knie gezittert, gesteht er. Vor 27 Jahren fing er als Trambahnfahrer bei der Münchner Verkehrsgesellschaft an, fuhr dann auch U-Bahn und Bus. Inzwischen mache er 50 Wochen im Jahr Betriebsmanagement und zwei Wochen Oktoberfest. „I mach des für mei Leben gern“, sagt er. „I lieb die Wiesn.“Deshalb geht er auch an seinen beiden freien Tagen dorthin, in Lederhose, wie es sich gehört, wenn man aus Grafing bei München kommt. Er fährt dann mit der U-Bahn zur Haltestelle Theresienwiese. „Mitten rein“, sagt er und grinst, dass sich die blauen Augen zu Schlitzen verengen. „Je mehrer dass los is, desto scheener is.“
Mehrere Plastikrosen stecken in einem Maßkrug auf seinem Tisch, „von die Mädels“, sagt er und lächelt. Manchmal bekomme er auch gebrannte Mandeln geschenkt. Eine Frau im Dirndl bleibt stehen. „Der ist so geil“, sagt sie zu ihrer Freundin, zückt ihr Handy und filmt durch die Glasfront. Grünleitner stört das nicht. 99,5 Prozent der Fahrgäste seien nett. Und manche wollten, dass er einen Witz erzähle. Aber alles, was er sage, habe einen ernsten Hintergrund und diene der Sicherheit. Er greift zum Mikro: „Die U-Bahn ist kein Adventskalender. Bei uns darf man alle 18 Türen gleichzeitig öffnen.“Es ist jetzt halb acht. Für ihn ist heute Feierabend. Noch eine Durchsage, dann macht sich auch Grünleitner auf den Heimweg: „Alle in die Bahnsteigmitte, do sitz i drin, do wort i auf eich und von do fahr ma heim.“