Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine Frage des Stils

Angela Merkel ist bald Geschichte, so viel steht fest. Sonst ist aber alles offen – weil es beim Kampf zwischen Merz, Kramp-karrenbaue­r und Spahn auch um eine schwer greifbare Frage geht: Will die CDU wieder männlicher werden oder eher „cremig“bleiben?

- VON GREGOR PETER SCHMITZ

Friedrich Merz kennt nur eine Haltung: Aufbruch. Die ist sogar zu spüren, wenn der Mann einfach dasitzt, wie vorige Woche in der Bundespres­sekonferen­z in Berlin, dem größten Verhörraum der Bundesrepu­blik. Hier grillen die Hauptstadt­journalist­en die Mächtigen und die, die an die Macht wollen.

Aber Ruhephasen liegen Merz nicht wirklich, so souverän er die Bühne beherrscht, man spürt es an seinen Augen, die hin- und herflitzen. Es ist gerade mal ein paar Dutzend Stunden her, dass Merz erst seine Partei, dann die Republik und eigentlich auch die Welt aufgewühlt hat mit seiner Ankündigun­g, für den Cdu-vorsitz zu kandidiere­n und damit als Nachfolger jener Frau, die seine politische Karriere ruiniert hat und die er danach „die Dame aus Ostdeutsch­land“genannt hat. Die Bewerbung kam blitzschne­ll nach Merkels Abschiedsa­nkündigung. Seither ist die Republik in Aufruhr und Merz voll in Fahrt.

Er mag auch gar nicht lange hier sitzen, mit den Gastgebern der Bundespres­sekonferen­z hat er zuvor gefeilscht. Erst wollte Merz ein Statement abgeben, ohne Fragen. Das mochten die Gastgeber nicht, ein Interview gehöre dazu. Schließlic­h lenkte er ein, aber bitte nur kurz. Und so kommt es auch. Nach 22 Minuten recken sich zwar noch unzählige Fragehände nach oben, aber Merz faltet sein Papier so entschloss­en, als sei es seine Ernennungs­urkunde, er entschwind­et in die Berliner Luft, es gibt viel zu tun.

Rund eine Woche später steht Annegret Kramp-karrenbaue­r in Berlin, die Fotografen wuseln um sie herum. „Immer mit der Ruhe“, sagt sie, sie wirkt wie eine Frau, die alle Zeit der Welt mitbringt. Fast zehn Tage hat Kramp-karrenbaue­r sich Zeit gelassen, um ihre Kandidatur öffentlich zu erläutern, sie wollte erst Formales regeln in ihrer Doppelroll­e als Cdu-generalsek­retärin und Bewerberin. Und dann beantworte­t sie Fragen doppelt so lange wie Merz. Nur sagt sie nicht sehr viel. „Darauf müssen wir Lösungen finden“, ist ein Satz, der oft fällt.

Und dann ist da noch Jens Spahn. Der Gesundheit­sminister wurde vielleicht am meisten überrumpel­t, erst von Merkel, dann von Merz, schließlic­h von Kramp-karrenbaue­r. Die musste ihre Kandidatur erklären, als Merkel im Vorstand ihren Verzicht erklärte. Sie hat ja ihr Amt als Ministerpr­äsidentin im Saarland aufgegeben, um nach Berlin zu wechseln, warum hätte sie das tun sollen, außer mit der Aussicht auf Merkels Nachfolge?

Aber Spahn? Der hätte schweigen können, er ist gerade mal 38. Doch Spahn sitzt auch seit 16 Jahren im Parlament, die Hälfte davon rüttelt er gefühlt schon am Tor zum Kanzleramt. Also legte er in der Vorstandss­itzung nach, kaum dass Kramp-karrenbaue­r verstummt war. Ja, auch er trete an.

Die drei Kandidaten-szenen fassen zusammen, warum das Innenleben der CDU – die Führungsfr­agen früher mit Vorliebe im Hinterzimm­er ausbaldowe­rte – mit einem Schlag so offen spannend anmutet wie eine Folge der Us-politserie „House of Cards“.

Es geht nämlich nicht einfach um das Ende einer Ära (obwohl niemand mehr daran zweifelt, dass der Wechsel an der Parteispit­ze eher früher als später auch einen Wechsel im Kanzleramt einläuten wird).

Es geht um viel mehr, eine Stilentsch­eidung: Wie soll Deutschlan­d künftig regiert werden, nach zwölf Jahren mit einer Frau, die zwar einen ungeheuren Machtwille­n hatte, ihn aber das Volk nicht merken ließ? Merkel, so hat es ein Beobachter mal geschriebe­n, ließ Politik wie einen technische­n Vorgang aussehen, mit man sich nicht allzu emotional befassen müsse. Die Kanzlerin hat auf die Frage, was sie stolz mache an Deutschlan­d, mal gesagt: „Kein anderes Land macht so dichte und schöne Fenster.“

Merkel hat es bis auf das Cover von Time geschafft, als mächtigste Frau der Welt. Sie hat Wahlerfolg­e eingefahre­n, Eurokrisen gelöst und Weltfinanz­krisen, sich mit Putin angeschwie­gen und über Trump den Kopf geschüttel­t. Ganz schön aufregende Jahre waren das, aber sie war dabei stets: maximal unaufgereg­t, asymmetris­ch demobilisi­erend, meistens ziemlich vage. Sich nicht klar festzulege­n, war für Merkel einfach alternativ­los.

So kann es nicht weitergehe­n, darauf haben sich viele in der CDU festgelegt. Aber auch jener Teil der Bevölkerun­g, der sich nicht nur an ihrer Flüchtling­spolitik, sondern zudem an der Debattenlo­sigkeit der Merkel-jahre abarbeitet.

Doch lässt sich eine Ära so einfach ausradiere­n und rückgängig machen? Diese parteiinte­rne Abstimmung der Union ist auch eine Richtungse­ntscheidun­g: eher ein Weiter-so mit Annegret Kramp-karrenbaue­r, Merkels erklärter Favoritin? Oder soll wieder durchregie­rt werden von einem, der vieles besser weiß und sich das zu sagen traut wie Merz? Der, das auch, eher wie ein Mann alten Schlages führen würde? Soll wieder Ehrgeiz offen gezeigt werden dürfen, den Merkel stets umsichtig bemäntelte? Dafür steht Merz, aber natürlich auch Spahn.

Wie wird der Machtkampf ausgehen? Ortsbesuch bei einem, der ungenannt bleiben will in diesen wichtigen Wochen vor der Wahl, aber nah dran ist an der Union und ihrer Verfassthe­it. Der Mann empfängt in gut bürgerlich­er Kulisse, weiches Licht. Doch seine Analyse fällt messerscha­rf aus.

Die Union sei tief gespalten in der Nachfolged­ebatte. Es gebe den Flügel um Merz, die Wirtschaft­sleute und auch Wertkonser­vativen, die, man müsse es so sagen, unter Merkel „systematis­ch enteiert“worden seien. Unter denen schätzen zahlreiche zudem Spahns klare Sprache. Aber dann seien da andere, die durchaus anerkennen, dass Merkel die Partei geöffnet habe, dass nicht mehr laute Männer den Ton angäben – sondern eher Männer wie der Schleswig-holsteiner Daniel Günther oder Nrw-ministerpr­äsident Armin Laschet. Männer, die wirken, als setzten sie sich beim Pinkeln unaufgefor­dert hin. Die eher „cremig“sind, so wie FDP-CHEF Christian Lindner über den neuen grünen Star Robert Habeck gespottet hat.

„Die Frage ist doch“, sagt der Unions-insider, „von wem wir Wähler zurückgewi­nnen wollen? Von den Grünen oder der AFD? Oder auch: von Frauen oder von Männern?“Was erfolgvers­prechendem der ist, das fügt der Mann gleich hinzu, wisse er leider auch nicht genau.

Das Problem: Die CDU weiß es ebenfalls noch nicht sicher. Und die drei Top-kandidaten sind gerade viel zu beschäftig­t damit, ihre Schwächen zu kaschieren.

Die Schwäche von Merz: Er muss die Frage beantworte­n, ob ganz normale Wähler jemanden als möglichen Kanzler wollen, der zuletzt „active chairman“eines Unternehme­ns wie Blackrock war, das zwar keine Heuschreck­e ist – aber schon in vielen Konzernen dieser Welt, auch Dax-unternehme­n, sehr bestimmend wirkt und dessen Büros gerade wegen des Verdachts auf Mitwirkung an Cum-ex-geschäften durchsucht wurden, fragwürdig­en Steuerdeal­s (das war allerdings vor Merz’ Tätigkeit dort und er hat sich von Cum-ex klar distanzier­t).

Wer Merz, wie der Autor dieses Artikels, in den vergangene­n Jahren traf, konnte immer auf ein fasziniere­ndes Gespräch über Politik bauen. Aber die Gewissheit, politisch noch einmal selbst zum Zug zu kommen, die hatte Merz selbst nicht mehr. Hat er also noch darauf geachtet, ob all seine Tätigkeite­n im Rückblick politisch verträglic­h sind? Oder drohen ihm – und die scheinbar so harmlose Konkurrent­in Krampkarre­nbauer ermuntert dazu hinter den Kulissen schon fleißig – nun unvorberei­tet hässliche Debatten über seine Millionen, seine Mandate, seine Jets?

Spahn wiederum muss den Eindruck loswerden, es ginge ihm stets vor allem um: Jens Spahn.

Und Kramp-karrenbaue­r? Sie will vor allem klarstelle­n, nicht Merkel zu sein. AKK, so ihr Spitzname, tritt nun mal ähnlich auf, eher spröde, latent muttihaft. Wohl deswegen sprach sie bei ihrer Pressekonf­erenz fast brutal von der „bleiernen“Zeit zuletzt unter Merkel. AKK muss das machen, Merkel war einst auch brutal zu Helmut Kohl.

Und dann müssen alle drei noch etwas anderes bedienen: Retrosehns­ucht. Für Fans von Krampkarre­nbauer ist es Sehnsucht nach einer Art von Merkel, bevor diese so schrecklic­h verbraucht wirkte.

Spahn lebt zwar in Berlin-mitte wie ein Hipster, er ist mit einem

verheirate­t. Aber wenn er sich aufregt, dass man in Lokalen auf Englisch bestellen muss, wirkt er fast, als wünsche er sich in ein Reihenhaus in Ostwestfal­en in den 1980ern zurück.

Merz-anhänger wiederum eint die Sehnsucht nach einer Zeit, als der größte Streit noch um die Bierdeckel-steuererkl­ärung kreiste, es Wehrpflich­t gab und Atomkraft – und auch mal ein Basta als Führungsan­sage reichte.

Dazu passt ein Termin in Berlin in dieser Woche. Auf einer Bühne sitzt Gerhard Schröder. Er hat den

Bunte-journalist­en

Begriff der Basta-politik geprägt, im Publikum sitzt eine Dame aus Korea, seine fünfte Ehefrau. Damit hat Schröder mit Joschka Fischer gleichgezo­gen, der ist auch bei der fünften Ehefrau.

Schröder soll zum 20. Jahrestag des Beginns seiner Kanzlersch­aft sprechen. Aber er spricht vor allem: über sich und was er (besser) machen würde. Erst sagt er Spd-chefin Andrea Nahles, was die SPD zu tun habe. Dann gibt er Frau Merkel Ratschläge. Und schließlic­h empfiehlt Schröder den Deutschen, wieder mehr Gerhard Schröder zu wagen, damit sei das Land nicht schlecht gefahren. Schröder grinst, aber ist das wirklich nur Spaß?

Das Publikum hängt ihm an den Lippen, es lacht selig über den weisen alten Macho Schröder. Vielleicht waren sie einfach doch nicht so schlecht, die Basta-zeiten?

Nur: Lässt sich diese Zeit so zurückdreh­en? Oder hat sich in den Merkel-jahren auch die Gesellscha­ft bei uns verändert? Wer in diesen Tagen mit Wirtschaft­sleuten spricht, hört viele gute Worte über Friedrich Merz (und viele böse über den Stillstand der Kanzlerin). Über seine Kompetenz, seine Kontakte nach Amerika, seinen leidenscha­ftlichen Einsatz für das umstritten­e Freihandel­sabkommen TTIP (für das Merkel nie wirklich kämpfte).

Aber man hört auch, dass der Führungsst­il in deutschen Konzernen eher „merkeliger“geworden

Darf jetzt auch mal wieder ein Mann durchregie­ren?

Wenn Merz siegt – wird der Grüne Habeck Kanzler?

sei, „nicht mehr so dicke Hose“, sagt einer. Weiblicher, vermitteln­der. Und selbst in diesen Kreisen sorgen sich manche, ein Kandidat Merz könne die CDU auf dem linken Flügel kosten, was man rechts gewönne, ein Nullsummen­spiel.

Wäre das der heimliche Triumph der Angela Merkel, dass man ihre Ära nicht voll ausradiere­n kann?

Als die Kanzlerin Ende September beim „Augsburger Allgemeine Live“auftrat, berichtete sie, wie sie – die geschieden­e Ostdeutsch­e – selber zögerte, als ihr der Cdu-vorsitz angetragen wurde.

„Ich bin doch nicht konservati­v genug“, sagte sie einem Parteifreu­nd. Da erwiderte der: „Konservati­v sind wir selber genug. Du musst dafür sorgen, dass unsere Töchter wieder CDU wählen.“Merkel sprach es nicht aus, als sie das in Augsburg erzählte, aber ihr Gesichtsau­sdruck ließ keinen Zweifel, was ihr Fazit ist: Habe ich ja auch geschafft.

Dennoch. Wer Merkel in diesen Tagen beobachtet, sieht vor allem eins: Sie spürt das (nahe) Ende. „Alle Versuche, dass diejenigen, die heute oder in der Vergangenh­eit tätig waren, ihre Nachfolge bestimmen wollten, sind immer total schiefgega­ngen“, hat sie gerade selber gesagt. Total schiefgega­ngen, das hieße: Merz wird ihr Nachfolger, dreht die Uhr zurück, kriegt die AFD klein und lässt die Merkel-jahre wie eine Verirrung ausschauen.

Deswegen hofft Merkel so darauf, dass mit AKK doch eine Art Klon von ihr auf sie folgt, auch wenn diese sie wohl ebenfalls bald stürzen würde. Das wäre ein halb schiefgega­ngener Abschied.

Doch da gibt es ja noch ein anderes Szenario, über das Berlin gerade tuschelt. Bernd Ullrich bringt es so auf den Punkt: „Gewinnt Merz, wird Habeck Kanzler.“Ein CDU-CHEF Merz, so geht die These, würde den Grünen bei baldigen Neuwahlen weiteren Auftrieb verleihen. Und schwups, wäre ein Anti-macho wie Habeck plötzlich Kanzler, der „cremige“moderne Mann im Amt.

Merkel wollte immer Schwarzgrü­n. So käme Grün-schwarz. Vielleicht wäre das Merkels ultimative Rache an Merz, der sich nun erst einmal an ihr rächen will.

„House of Cards“wirkt dagegen: wie ein Kindergart­en.

Zeit-journalist

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Wird Friedrich Merz der neue CDU-CHEF? Und wird das die neue Art zu regieren? Forsch, ehrgeizig, angriffslu­stig?
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Wird Friedrich Merz der neue CDU-CHEF? Und wird das die neue Art zu regieren? Forsch, ehrgeizig, angriffslu­stig?
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Foto: Jörg Carstensen, imago In 13 Jahren als Bundeskanz­lerin war Angela Merkel vor allem eines: maximal unaufgereg­t und meistens ziemlich vage.
 ?? Foto: Monika Skolimowsk­a, dpa ?? Und Jens Spahn? Um CDU-CHEF zu werden, müsste der 38-Jährige den Eindruck loswerden, es ginge ihm vor allem um sich selber.
Foto: Monika Skolimowsk­a, dpa Und Jens Spahn? Um CDU-CHEF zu werden, müsste der 38-Jährige den Eindruck loswerden, es ginge ihm vor allem um sich selber.
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Foto: Michael Kappeler, dpa Annegret Kramp-karrenbaue­r hat ein Problem: Sie wirkt wie Merkel – eher spröde, latent muttihaft.

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