Augsburger Allgemeine (Land West)
Gegen den Kahlschlag
In Apulien sind teils tausend Jahre alte Olivenbäume vom Feuerbakterium befallen. Müssen sie wirklich abgeholzt werden?
Rom Seit fünf Jahren beherrscht „Xylella fastidiosa“die Olivenbäume an der Südspitze des italienischen Stiefels. Das 2013 durch Zierpflanzen aus Costa Rica eingeführte Feuerbakterium hat die Bäume befallen, übertragen wird es durch ein Insekt namens Wiesenschaumzikade. Die befallenen Olivenbäume in Apulien trocknen nach Befall aus und sterben ab. So lautet die offizielle Darstellung einer der größten und dennoch außerhalb Italiens wenig beachteten Agrar-krisen in Europa. Um beinahe 60 Prozent soll die Olivenernte in diesem Herbst in Apulien zurückgehen.
Seit Jahren streiten sich Ermittler, Gerichte, Politiker und Bauern um den richtigen Umgang mit der Seuche. Wegen der Verzögerungen im Kampf gegen das Bakterium droht sogar die EU mit einem Strafverfahren. Der Landwirtschaftsverband Coldiretti schätzt die Schäden auf bis zu eine Milliarde Euro, 40 Prozent des Territoriums in Apulien seien betroffen. Dort soll es 60 Millionen Olivenbäume geben.
Und doch werden nach wie vor Stimmen laut: Nicht Abholzung der teilweise tausendjährigen, unter Naturschutz stehenden Bäume sei das richtige Rezept, sondern Koexistenz mit dem Bakterium und eine Rückkehr zur nachhaltigen Landwirtschaft. „Das Ausrotten von Xylella ist eine Illusion. Wir müssen lernen, mit dem Bakterium zusammen zu leben“, sagt etwa Öko-bauer Ivano Gioffreda. Diese Haltung versetzt Verfechter der konventionellen Me- thoden zur Bekämpfung des Feuerbakteriums in Rage. Es seien Aktivisten wie der 54-Jährige, die für die Eskalation der Situation und die Verzögerungen bei der Bekämpfung des Bakteriums verantwortlich seien, meinen sie.
Im Februar 2018 bekräftigte die damalige italienische Regierung die bisherige Strategie. Sie besteht in der massenhaften Anwendung von giftigen Pestiziden gegen die Wiesenschaumzikade. Dazu verfügte der frühere Landwirtschaftsminister, dass nicht nur kranke Bäume, sondern auch alle gesunden Pflanzen im Umkreis von hundert Metern eines befallenen Baums abzuholzen sind. Nicht nur Umweltschützer haben allerdings große Zweifel an diesem Vorgehen.
Langsam kommt politisch Bewegung in die Angelegenheit. So forderten 51 Senatoren der Fünf-sterne-bewegung im August die Einrichtung einer parlamentarischen Untersuchungskommission. Sie wollen Licht in die Affäre bringen. Denn das Feuerbakterium kommt heute in ganz Europa vor, selbst in Deutschland. Warum bekommt ausgerechnet Apulien die Seuche nicht in den Griff?
„Es ist wie bei den Menschen“, behauptet Öko-bauer Gioffreda, „wenn die Abwehrkräfte nachlassen, wird man schneller krank“. Früher verwendete er noch chemische Unkraut- und Insektenbekämpfungsmittel – wie die meisten Bauern in Apulien. Vor zwölf Jahren sattelte er um auf biologischen Anbau. Als der Xylella-befall 2013 bekannt wurde, ließ er die Böden seiner Olivenhaine untersuchen und stellte fest, dass der Nährstoffgehalt gegen Null ging. Die Böden waren ausgelaugt. Seine Erklärung: Jahrelanger Missbrauch mit chemischen Pflanzenschutzmitteln wie Glyphosat hat die organische Basis abgetötet. Mit traditionellen Methoden versuchte Gioffreda die organische Substanz wieder zu vermehren. Und hatte Erfolg damit.
Wissenschaftler geben ihm recht. „Die Koexistenz mit einem Bakterium ist auch bei Kiwi-pflanzen zu beobachten“, sagt Cristos Xyloiannis von der Uni Basilicata in Matera. Mit sorgsamem Umgang mit den Pflanzen hatte man in diesen Fällen Erfolg. Nachhaltige Landwirtschaft statt standardisierter Massenproduktion sei der Schlüssel.