Augsburger Allgemeine (Land West)
Als Bayern zum Freistaat wurde
Carl von Andrian war im November 1918 in München. Sein Tagebuch hat sein Enkel aus Neusäß noch heute
wusst, dass etwas geschah.
Zunächst noch ahnungslos, wie er schreibt, war er also abends am 7. November in München angekommen. Carl von Andrian wird von einem jungen Soldaten aus dem Bahnhof geleitet. „Hin und wieder krachte ein Schuss, Autos mit Soldaten besetzt fuhren umeinander“, beschreibt er. Die Nacht wird dann unruhiger: „Viel Trommelwirbel hörte man, Ansprachen, Autogetute, auf einmal, es war gegen 1-2 Uhr, ging vor dem Hotel auf der Straße eine Schießerei an, es knatterte nur so, es sah aus, als ginge das Mündungsfeuer bis zum vierten Stock herauf.“Wie nah Carl von Andrian in diesem Moment am Ort der Geschichtsschreibung dran war, wusste er wohl gar nicht: Nur wenige hundert Meter entfernt im Mathäserbräu zwischen Hauptbahnhof und Stachus wurde in dieser Nacht der Arbeiter- und Soldatenrat gebildet. Ein provisorischer Nationalrat sollte bis zu den ersten Wahlen die Regierung übernehmen.
Mit einem Mitglied dieser Regierung, Finanzminister Edgar Jaffé, kam es kurz darauf zu einem Disput. Er behauptete nach den Aufzeichnungen von Carl von Andrian, die erwähnten Schüsse seien aus dem Bayerischen Hof abgegeben worden. „Unten in der Halle des Erdgeschosses hat sich ein ziemlich gefährlicher Augenblick abgespielt, als die Menge plötzlich hineinstürmte und die Offiziere bedrohte“, schreibt von Andrian. Schließlich sei mit dem Soldatenrat am 8. November vereinbart worden, dass die Offiziere den Grenzschutz von Bayern organisieren sollten.
Für Carl von Andrian und die anderen Offiziere ist der Grenzschutz zunächst eine Option. Doch auch in diesen aufregenden Tagen gibt es für ihn mehr als den Dienst. Er besucht Freunde und auch seinen Onkel Rudolf, bei dem er einen Teil der Gymnasialzeit verbrachte. Und erfährt: Sein Cousin Hans ist an der spanischen Grippe gestorben. „Es ist hart für die zwei alten Leute, so die Kinder vor sich wegsterben zu sehen. Und was wird aus seiner Frau und den Buben“, notiert er. Kein Einzelschicksal: Auch in Augsburg sind zu diesem Zeitpunkt schon rund 150 vor allem junge Menschen an dieser Krankheit gestorben, so Historiker Reinhold Forster von der Geschichtswerkstatt Augsburg.
Soldat sein, das war für Carl von Andrian von frühester Jugend an der innigste Berufswunsch. Auch sein Enkel Hans-christoph von Andrian hat ihn als einen Mann in Erinnerung, der zwar einerseits in seinem Familienleben aufging, dem gleichzeitig aber auch stets der Soldat anzumerken gewesen sei. Im Umbruch von Monarchie zu Repu-
Außergewöhnliches