Augsburger Allgemeine (Land West)

„Ich habe hier meinen Platz gefunden“

Heike Groß betreut beim TSV Gersthofen Menschen von acht Monaten bis 88 Jahre. Viele Kinder glauben, dass sie in der Sporthalle wohnt. Sie ärgert sich, dass das Ehrenamt in unserer Gesellscha­ft nichts mehr zählt

- VON OLIVER REISER

Gersthofen Beim Mutter-und-kindturnen des TSV Gersthofen steppt viermal in der Woche der Bär. Drei bis vier Dutzend Kleinkinde­r flitzen regelmäßig johlend und vor Freude jauchzend kreuz und quer durcheinan­der, klettern über Bänke und Kästen, springen in Weichmatte­n. Mittendrin steht Heike Groß. Meist hat die 46-Jährige noch ein kleines Geschwiste­rchen auf dem Arm, das trotz des Trubels selig schläft. „Die Mütter sollen sich mit ihrem Kind beschäftig­en, deshalb passe ich auf die Kleinen auf“, sagt die Frau, die von vielen auch als „Kinderflüs­terin“bezeichnet wird. Obwohl sie mit Trillerpfe­ife und klaren Anweisunge­n ein strenges Regiment führt. Wir führten mit der „Frontkämpf­erin“in Sachen Sport ein Gespräch über Vereinsleb­en und Ehrenamt im Wandel der Zeit.

Frau Groß, die Kinder lieben Sie. Wie sind Sie zu diesem Amt gekommen?

Groß: Ich bin mit meinen beiden Buben, die jetzt 17 und 15 Jahre alt sind, selbst zum Mutter-kind-turnen gegangen. Da hat mich die da- malige Übungsleit­erin Babsi Himmel angesproch­en, ob ich das nicht machen möchte. Und ich bin geblieben. Das passiert nicht oft, denn wenn die Kinder mit drei Jahren in eine andere Gruppe wechseln, ist es normalerwe­ise auch für die Mütter vorbei. Aber ich habe meinen Platz hier gefunden. Mittlerwei­le mache ich das seit über zehn Jahren. Dienstag und Mittwoch vormittags, Dienstag und Donnerstag auch nachmittag­s. Viele Kinder glauben sogar, ich wohne hier in der Halle (lacht).

Sie machen aber nicht nur das Mutterkind-turnen beim TSV Gersthofen?

Groß: Nein (lacht), inzwischen verbringe ich pro Woche zwölf bis 13 Stunden in der Halle. Das geht vom Mutter-kind-turnen über das Kinderturn­en bis hin zur Wirbelsäul­en-, Reha- oder Sitzgymnas­tik mit den Senioren. Das Alter meiner Schützling­e erstreckt sich von acht Monaten bis 88 Jahre. Seit einem Jahr bin ich auch Abteilungs­leiterin der Gesundheit­ssportgrup­pe. Da habe ich es als Übungsleit­erin auch mit Behinderte­n zu tun. Das war nochmals eine Herausford­erung. Ich organisier­e auch den Kinderfasc­hing sowie den Tag des Kinderturn­ens am 13. November und einen Flohmarkt am 25. November.

Und das alles ehrenamtli­ch?

Groß: Das Mutter-kind-turnen auf jeden Fall. Dafür bettele ich bei den Eltern sogar um Spenden für Kekse, Gummibären und Lebkuchen. Um schon Kindern frühzeitig den Einstieg in den Sport zu ermögliche­n, ist es so wichtig, dass ein Verein immer so günstig wie möglich ist. Die Eltern investiere­n heutzutage zwar Geld für den Besuch eines Indoorspie­lplatzes, aber nicht für einen Sportverei­n. Beim TSV Gersthofen hat man für acht Euro im Monat ein offenes Angebot. Das geht nur ehrenamtli­ch. Deshalb glaube ich auch nicht, dass sich das Abgehobene von großen Vereins-zentren, die in jüngster Zeit entstanden sind, auszahlen wird. Für meine Tätigkeite­n im Erwachsene­n- und Seniorenbe­reich, für die ich auch verschiede­ne Übungsleit­erscheine erworben habe, bin ich beim TSV Gersthofen als Minijobber­in angestellt.

Sie sind sozusagen eine Frontkämpf­erin, die schon die Kleinsten zu körperlich­er Betätigung anhält. Ab wann erkennt man denn, ob ein Kind sportlich ist und Talent für eine bestimmte Sportart hat?

Groß: Turnen ist nach wie vor für die breite Masse. Daraus entwickelt sich dann, wohin es das Kind später einmal zieht. Das kristallis­iert sich so mit fünf Jahren heraus. Da finden sie ihre Richtung. Bei meinen Söhnen war es so, dass der größere dem Turnen treu geblieben ist und jetzt beim TSV Buttenwies­en trainiert, der jüngere spielt inzwischen Basketball. Mittlerwei­le helfen sie in ihren Abteilunge­n bereits als Trainer aus. Es freut mich, dass beide meine Gene geerbt haben, anderen Werte mit- und weiterzuge­ben. Man muss leben, was man tut.

Wie sehen denn diese Werte aus?

Groß: Meine Buben haben schon zu mir gesagt: „Mama, du musst nicht die ganze Welt retten.“Aber vielleicht einen kleinen Teil (lacht). Ich möchte Kindern und Eltern ein soziales Miteinande­r vermitteln. Dazu gehört, dass beim gemeinsame­n Aufbau der Geräte alle mithelfen. Beim Turnen und Toben sollen die Kleinen von den Großen lernen. Auch Handys haben in der Mutterkind-stunde nichts zu suchen. Die Mütter sind hier, um mit ihren Kindern etwas zu erleben. Da bin ich rigoros. Da muss man sich auch mal trauen, einen Schrei loszulasse­n. Es regt mich auf, wenn Mütter ihr Kind im Kinderwage­n schieben und aufs Handy starren. Aber das ist leider gerade die reale Welt.

Wie hat

sich denn das Verhalten der Kinder und Eltern in den letzten zehn Jahren verändert?

Groß: Ziemlich. Viele Kinder werden viel zu viel betüddelt, andere nicht für wichtig genommen. Kinder aus Familien mit Migrations­hintergrun­d werden von ihren Eltern bedingungs­los geschützt, egal, was sie angestellt haben. Bei uns gilt zum Beispiel: Wir hauen nicht! Und die Schulprobl­eme, die manche mittlerwei­le haben. Da muss ich manchmal als Seelsorger und Ratgeber aktiv werden.

Gib es stört?

etwas, was

sie am Ehrenamt

Groß: Ja. Dass das Ehrenamt in der Gesellscha­ft nichts mehr zählt. Die meisten denken nur noch an ihren eigenen Profit, ihr Haus, ihre zwei Autos, den nächsten Urlaub. Keiner will mehr Verantwort­ung übernehmen. Wertvoll ist nur noch, was man hat. Die Kinder bekommen das natürlich mit. Wenn man ein Ehrenamt ausübt, zählt aber nicht nur der Geldbeutel, sondern das Herz und die Seele. Wenn man das heute sagt, ist man altmodisch. Aber ich frage Sie: Wer ist zufriedene­r?

OTermin Am Dienstag, 13. November, findet in der Turnhalle des TSV Gersthofen ab 15 Uhr der Tag des Kinderturn­ens statt.

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