Augsburger Allgemeine (Land West)
„Ich habe hier meinen Platz gefunden“
Heike Groß betreut beim TSV Gersthofen Menschen von acht Monaten bis 88 Jahre. Viele Kinder glauben, dass sie in der Sporthalle wohnt. Sie ärgert sich, dass das Ehrenamt in unserer Gesellschaft nichts mehr zählt
Gersthofen Beim Mutter-und-kindturnen des TSV Gersthofen steppt viermal in der Woche der Bär. Drei bis vier Dutzend Kleinkinder flitzen regelmäßig johlend und vor Freude jauchzend kreuz und quer durcheinander, klettern über Bänke und Kästen, springen in Weichmatten. Mittendrin steht Heike Groß. Meist hat die 46-Jährige noch ein kleines Geschwisterchen auf dem Arm, das trotz des Trubels selig schläft. „Die Mütter sollen sich mit ihrem Kind beschäftigen, deshalb passe ich auf die Kleinen auf“, sagt die Frau, die von vielen auch als „Kinderflüsterin“bezeichnet wird. Obwohl sie mit Trillerpfeife und klaren Anweisungen ein strenges Regiment führt. Wir führten mit der „Frontkämpferin“in Sachen Sport ein Gespräch über Vereinsleben und Ehrenamt im Wandel der Zeit.
Frau Groß, die Kinder lieben Sie. Wie sind Sie zu diesem Amt gekommen?
Groß: Ich bin mit meinen beiden Buben, die jetzt 17 und 15 Jahre alt sind, selbst zum Mutter-kind-turnen gegangen. Da hat mich die da- malige Übungsleiterin Babsi Himmel angesprochen, ob ich das nicht machen möchte. Und ich bin geblieben. Das passiert nicht oft, denn wenn die Kinder mit drei Jahren in eine andere Gruppe wechseln, ist es normalerweise auch für die Mütter vorbei. Aber ich habe meinen Platz hier gefunden. Mittlerweile mache ich das seit über zehn Jahren. Dienstag und Mittwoch vormittags, Dienstag und Donnerstag auch nachmittags. Viele Kinder glauben sogar, ich wohne hier in der Halle (lacht).
Sie machen aber nicht nur das Mutterkind-turnen beim TSV Gersthofen?
Groß: Nein (lacht), inzwischen verbringe ich pro Woche zwölf bis 13 Stunden in der Halle. Das geht vom Mutter-kind-turnen über das Kinderturnen bis hin zur Wirbelsäulen-, Reha- oder Sitzgymnastik mit den Senioren. Das Alter meiner Schützlinge erstreckt sich von acht Monaten bis 88 Jahre. Seit einem Jahr bin ich auch Abteilungsleiterin der Gesundheitssportgruppe. Da habe ich es als Übungsleiterin auch mit Behinderten zu tun. Das war nochmals eine Herausforderung. Ich organisiere auch den Kinderfasching sowie den Tag des Kinderturnens am 13. November und einen Flohmarkt am 25. November.
Und das alles ehrenamtlich?
Groß: Das Mutter-kind-turnen auf jeden Fall. Dafür bettele ich bei den Eltern sogar um Spenden für Kekse, Gummibären und Lebkuchen. Um schon Kindern frühzeitig den Einstieg in den Sport zu ermöglichen, ist es so wichtig, dass ein Verein immer so günstig wie möglich ist. Die Eltern investieren heutzutage zwar Geld für den Besuch eines Indoorspielplatzes, aber nicht für einen Sportverein. Beim TSV Gersthofen hat man für acht Euro im Monat ein offenes Angebot. Das geht nur ehrenamtlich. Deshalb glaube ich auch nicht, dass sich das Abgehobene von großen Vereins-zentren, die in jüngster Zeit entstanden sind, auszahlen wird. Für meine Tätigkeiten im Erwachsenen- und Seniorenbereich, für die ich auch verschiedene Übungsleiterscheine erworben habe, bin ich beim TSV Gersthofen als Minijobberin angestellt.
Sie sind sozusagen eine Frontkämpferin, die schon die Kleinsten zu körperlicher Betätigung anhält. Ab wann erkennt man denn, ob ein Kind sportlich ist und Talent für eine bestimmte Sportart hat?
Groß: Turnen ist nach wie vor für die breite Masse. Daraus entwickelt sich dann, wohin es das Kind später einmal zieht. Das kristallisiert sich so mit fünf Jahren heraus. Da finden sie ihre Richtung. Bei meinen Söhnen war es so, dass der größere dem Turnen treu geblieben ist und jetzt beim TSV Buttenwiesen trainiert, der jüngere spielt inzwischen Basketball. Mittlerweile helfen sie in ihren Abteilungen bereits als Trainer aus. Es freut mich, dass beide meine Gene geerbt haben, anderen Werte mit- und weiterzugeben. Man muss leben, was man tut.
Wie sehen denn diese Werte aus?
Groß: Meine Buben haben schon zu mir gesagt: „Mama, du musst nicht die ganze Welt retten.“Aber vielleicht einen kleinen Teil (lacht). Ich möchte Kindern und Eltern ein soziales Miteinander vermitteln. Dazu gehört, dass beim gemeinsamen Aufbau der Geräte alle mithelfen. Beim Turnen und Toben sollen die Kleinen von den Großen lernen. Auch Handys haben in der Mutterkind-stunde nichts zu suchen. Die Mütter sind hier, um mit ihren Kindern etwas zu erleben. Da bin ich rigoros. Da muss man sich auch mal trauen, einen Schrei loszulassen. Es regt mich auf, wenn Mütter ihr Kind im Kinderwagen schieben und aufs Handy starren. Aber das ist leider gerade die reale Welt.
Wie hat
sich denn das Verhalten der Kinder und Eltern in den letzten zehn Jahren verändert?
Groß: Ziemlich. Viele Kinder werden viel zu viel betüddelt, andere nicht für wichtig genommen. Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund werden von ihren Eltern bedingungslos geschützt, egal, was sie angestellt haben. Bei uns gilt zum Beispiel: Wir hauen nicht! Und die Schulprobleme, die manche mittlerweile haben. Da muss ich manchmal als Seelsorger und Ratgeber aktiv werden.
Gib es stört?
etwas, was
sie am Ehrenamt
Groß: Ja. Dass das Ehrenamt in der Gesellschaft nichts mehr zählt. Die meisten denken nur noch an ihren eigenen Profit, ihr Haus, ihre zwei Autos, den nächsten Urlaub. Keiner will mehr Verantwortung übernehmen. Wertvoll ist nur noch, was man hat. Die Kinder bekommen das natürlich mit. Wenn man ein Ehrenamt ausübt, zählt aber nicht nur der Geldbeutel, sondern das Herz und die Seele. Wenn man das heute sagt, ist man altmodisch. Aber ich frage Sie: Wer ist zufriedener?
OTermin Am Dienstag, 13. November, findet in der Turnhalle des TSV Gersthofen ab 15 Uhr der Tag des Kinderturnens statt.