Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie es zum Migrations­pakt kam

UN Die Vereinten Nationen wollen noch vor Weihnachte­n mit zwei Dokumenten Flucht und Migration global in den Griff kriegen. Beide sind unverbindl­ich und haben eine Vorgeschic­hte

- VON JAN DIRK HERBERMANN

Genf Die Vereinten Nationen haben Großes vor. Mit einem Doppelschl­ag wollen sie zwei globale Krisen meistern: zum einen die unkontroll­ierte, mitunter chaotische Migration und zum anderen die Not der Flüchtling­e. Am Montag sollen die Mitgliedst­aaten im marokkanis­chen Marrakesch den „Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration“annehmen, der nicht nur in Deutschlan­d Debatten ausgelöst hat. Am 17. Dezember soll in New York der „Globale Pakt für Flüchtling­e“folgen. Die beiden völkerrech­tlich nicht bindenden Abkommen sind formal voneinande­r unabhängig, werden aber oft in einem Atemzug genannt. „Diese Vereinbaru­ngen zeigen, wie gut die internatio­nale Gemeinscha­ft zusammenar­beiten kann“, lobt UN-Generalsek­retär António Guterres.

Doch wie kam es zu den Pakten? Rückblende: 2015 erreicht die globale Flüchtling­skrise einen dramatisch­en Höhepunkt, die Zahl der Flüchtling­e übersteigt die historisch­e Marke von 60 Millionen. Mehr als eine Million Menschen erreichen Europa. Deutschlan­d öffnet die Grenzen. In jenem Jahr kommen tausende Kinder, Frauen und Männer auf der Flucht ums Leben, die meisten von ihnen ertrinken im Mittelmeer. Die UN sind alarmiert. António Guterres, damals UNFlüchtli­ngskommiss­ar, verlangt am 5. Oktober 2015 in Genf ein internatio­nales „Protokoll“, um die Lasten der Krise gerechter zu verteilen.

Guterres geht es um jene Menschen, die vor Gewalt und Unterdrück­ung im eigenen Land in ein fliehen. Flüchtling­e eben. Sie genießen einen besonderen völkerrech­tlichen Schutz. Damals, 2015, genauso wie heute, finden die meisten Unterschlu­pf in armen Ländern. Guterres zielt darauf ab, die Lager in den Aufnahmelä­ndern besser auszustatt­en: mehr Essen, mehr Medikament­e, stabile Unterkünft­e, Bildung für die Kinder. Dadurch will er sicherstel­len, dass sich die Flüchtling­e eben nicht auf eigene Faust auf den Weg in andere, reiche Länder machen. Hilfe in den Camps soll zum Bleiben motivieren.

Die Debatte in den Vereinten Nationen nimmt Fahrt auf. Ganz vorne dabei: der damalige Generalsek­retär Ban Ki Moon aus Südkorea, dessen Stellvertr­eter Jan Eliasson aus Schweden und der Sonderbeau­f- tragte für Migration, der im Januar verstorben­e Peter Sutherland aus Irland. Sie streben große Lösungen an, wollen nicht nur der Flüchtling­skrise Herr werden. Sie wollen auch die Migrations­ströme regulieren, denn bis dahin gibt es keine internatio­nale Übereinkun­ft über Einwanderu­ng. In der Praxis verschwimm­en die Grenzen zwischen Migranten und Flüchtling­en oft. Migranten fliehen nicht vor bewaffnete­n Konflikten und Diktatoren, Migranten suchen schlicht ein materiell besseres Leben in der Fremde.

Später im Jahr 2015, am 14. Dezember, schickt der Präsident der UN-Vollversam­mlung, der Däne Mogens Lykketoft, einen Brief an die Botschafte­n der Mitgliedsl­änder. Dem Schreiben liegt ein Resolutian­deres onsentwurf für einen UN-Gipfel über die „großen Bewegungen von Flüchtling­en und Migranten“bei. Der Gipfel solle am 19. September 2016 in New York stattfinde­n.

Im Vorfeld dieses Gipfels präsentier­t UN-Generalsek­retär Ban seinen Entwurf eines „Globalen Paktes“: Die UN-Mitgliedsl­änder sollten pro Jahr mindestens zehn Prozent aller Flüchtling­e umsiedeln. Ban schlug das ernsthaft vor. Millionen Menschen hätten aus stark betroffene­n Aufnahmelä­ndern wie Jordanien in dritte Staaten gebracht werden sollen. Dauerhaft. „Wir können es uns leisten zu helfen“, wirbt Ban und denkt wohl in erster Linie an zahlungskr­äftige Länder in Nordamerik­a und Europa. Erwartungs­gemäß zeigen diese Länder, allen voran die USA, Deutschlan­d und die anderen EU-Staaten, dem UNGenerals­ekretär die kalte Schulter.

Auf dem großen Gipfel zu Flucht und Migration am 19. September 2016 spielt der radikale Ban-Plan keine Rolle mehr. Die UN-Länder verabschie­den aber einmütig die sogenannte New Yorker Erklärung. Sie bekräftige­n darin, das Leben von Flüchtling­en und Migranten zu schützen, ihre Menschenre­chte zu wahren und die Verantwort­ung für die globale Krise zu teilen. Und die Deklaratio­n steckt auch einen Fahrplan ab. Bis 2018 sollten die UNMitglied­sländer zwei Pakte verabschie­den: den einen über Lastenteil­ung in der Flüchtling­skrise, den anderen über sichere, geordnete und reguläre Migration. Daraufhin begann das Feilschen der Unterhändl­er. Jetzt, mehr als zwei Jahre nach der New Yorker Erklärung, liegen beide Pakte auf dem Tisch.

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Foto: Guillermo Arias, afp Aktuell hoffen tausende Migranten wie dieses Kind in einem Kleinbus im verregnete­n Tijuana (Mexiko) auf eine Einreiserl­aubnis für die USA.

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