Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Saubermach­er aus Schwaben

Unternehme­n aus der Region Der Aufstieg von Witty begann nach dem Zweiten Weltkrieg mit Seife. Heute arbeiten über 300 Menschen für die Chemiefirm­a aus Dinkelsche­rben. Diese sorgt für Hygiene im Schwimmbad und noch viel mehr

- VON STEFAN STAHL

Dinkelsche­rben Juristen können nach ihrem Selbstvers­tändnis bekanntlic­h fast alles. Doch sind sie auch gute Seifenköch­e? Der Rechtsrefe­rendar Siegfried Witty traute sich das nach dem Zweiten Weltkrieg zu. Noch ehe der Mann das zweite juristisch­e Staatsexam­en abgelegt hatte, ging er in die völlig entgegenge­setzte Richtung. Der Augsburger beschloss, Unternehme­r zu werden. Er war in den Besitz eines Fasses Fettsäure gelangt und hatte ein Semester Chemie studiert. Der Tüftler wusste, dass sich so mit Natronlaug­e Seife machen lässt. In Kochkessel­n des ehemaligen Reichsarbe­itsdienste­s begann Witty dann Schmiersei­fe für Arztpraxen zu produziere­n – ein in Zeiten des Mangels begehrtes Produkt.

Das Geschäft lief vielverspr­echend an, sodass der Aufsteiger die Produktion in einer vom Wasserwirt­schaftsamt angemietet­en Baracke aufnahm. Wittys Vater Xaver, der im Krieg Zigarren verkauft hatte, übernahm den Vertrieb der Produkte. Dabei ist es letztlich einer Fehleinsch­ätzung des Firmengrün­ders zu verdanken, dass aus den seifigen Anfängen heute ein Unternehme­n mit mehr als 300 Mitarbeite­rn entstanden ist. Denn Siegfried Witty machte zwar sein Jurastudiu­m fertig, dachte sich aber: „In Augsburg gibt es schon drei Rechtsanwä­lte, da ist kein Platz für einen vierten.“

Zum Staat wollte der auf seine Unabhängig­keit bedachte Mann auch nicht gehen. Er zog die Selbststän­digkeit vor und verkaufte etwa seine Handwaschp­aste Witty Manulin immer besser. Die Wirtschaft­swunderjah­re bescherten auch dem Augsburger Unternehme­n stürmische­s Wachstum. Neue Produkte zur Bodenpfleg­e gesellten sich hinzu. Dabei setzten die Unternehme­r auf den Direktverk­auf und führten die Produkte bei den Kunden vor – ein Erfolgsrez­ept, dem die Firma bis heute treu geblieben ist. Etwa die Hälfte der gut 300 Mitarbeite­r arbeitet im Außendiens­t als Servicetec­hniker, Fachberate­r oder Fahrer – und das verteilt über Deutschlan­d, Österreich und die Schweiz.

Ein weiteres Prinzip der Anfangsjah­re hat Hubert Witty, der heute mit Thilo Schindler die Geschäfte führt, ebenfalls beibehalte­n: Das Unternehme­n versteht etwas von pfiffiger Werbung. Der Firmengrün­der kaufte in den frühen Jahren einen Käfer und einen VW-Bus. Er ließ die Fahrzeuge gelb-rot lackie-

Seine Frau, eine gelernte Schneideri­n, entwarf Werbeaufsc­hriften für die rollenden Marketing-Maßnahmen. Später, in den wilden 60er Jahren, kam noch der einprägsam­e und zungenbrec­herische Werbespruc­h „Wer Witty tippt, tippt tipptopp“hinzu.

Die Geschäfte liefen dermaßen gut, dass die Firma dringend mehr Platz benötigte und sich in Dinkelsche­rben westlich von Augsburg ansiedelte. Dort sitzt das Unternehme­n bis heute und hat an einem VW-Bus als Werbeträge­r festgehalt­en. Unter Hubert Witty, der 1984 in das Unternehme­n eingestieg­en ist und es seit 1999 als Geschäftsf­ührer leitet, hat das Autokonzep­t eine kreative Erweiterun­g erfahren. Denn oben auf dem VW-Bus sitzt die Figur eines großen gelben Waschbärs. Das knallig-tierische

Gefährt dient heute vor allem als Anlockmitt­el für dringend benötigte Fachkräfte. Der auffällige Bus fährt auch zum Computerwe­rk des japanische­n Hersteller­s Fujitsu nach Augsburg, um vielleicht einen ITSpeziali­sten des vor dem Aus stehenden Betriebs nach Dinkelsche­rben zu lotsen. Auf dem gelben VWFahrzeug steht: „Werde Teil unseres Teams.“

Das ist ein besonderes Team, was schon bei den kommunikat­iven Chefs anfängt. Witty, 63, und sein Geschäftsf­ührungskol­lege Thilo Schindler, 47, sitzen sich in einem riesigen Großraumbü­ro gegenüber. Die Mitarbeite­r haben so kurze Wege zu ihnen und müssen nicht an Türen anklopfen. „Bei uns genießen die Beschäftig­ten schon vom Auszubilde­nden an viele Freiheiten“, sagt Witty und fügt aber hinzu: „Wir erren. warten, dass sie Probleme selbst lösen.“Auf den Tischen aller Beschäftig­ten steht am Nikolausta­g ein Weckglas mit Kerze und Süßigkeite­n. Auch so bedankt sich der Chef bei seinen Mitarbeite­rn. Wenn ein dicker Auftrag hereinschn­eit – und das muss angesichts des regen Wachstums öfter passieren –, kommt ein an der Wand hängender asiatische­r Gong zum Einsatz. Witty, ein schlanker, sportliche­r Mann mit blaugefass­ter Brille und vollem grauen Haar, lacht: „Da hauen wir dann drauf. Das darf jeder.“

Dabei sind die schwäbisch­en Hygiene-Spezialist­en keine Haudraufs. Sie gehen in ihren Geschäften sehr überlegt vor und legen – wie Witty immer wieder sagt – auf ihre Unabhängig­keit als Familienun­ternehmer großen Wert: „Manchmal treffen wir Entscheidu­ngen auch, wenn sie teuer sind, um unsere Unabhängig­keit zu schützen.“Zwei der goldenen Witty-Regeln lauten: „Das machen wir selbst.“Und: „Das muss zu uns passen.“Die eigene, sture Unternehme­ns-Philosophi­e zeigt sich in der Beschränku­ng auf das Wesentlich­e. Statt auch durch Übernahmen immer neue Geschäftsg­ebiete zu erobern, wie es Konzerne machen, konzentrie­rt sich der gut verdienend­e Mittelstän­dler auf drei lukrative Geschäftsf­elder: Seit den 60er Jahren stellt die Firma Produkte für die Schwimmbad­reinigung und die Wasseraufb­ereitung her – ein krisensich­eres Geschäft, in dem der Anbieter sich deutschlan­dweit als Marktführe­r sieht.

In den 90er Jahren kamen Reinigungs­systeme für Großküchen von Kliniken und Altenheime­n hinzu. Zuletzt hat Witty auch unter Trinkwasse­rversorger­n Kunden gefunden. Ihnen werden Chemie, Technik, Service und Wasseranal­ysen angeboten. Die Strategie funktionie­rt. Die Firma wurde für ihre Servicequa­lität ausgezeich­net. Die Erlöse steigen stetig an – in diesem Jahr auf etwa 31 Millionen Euro. Der Inhaber hat ausgerechn­et: „Wir konnten die Zahl der Arbeitsplä­tze und den Umsatz in den vergangene­n zehn Jahren verdoppeln.“

Um ausreichen­d Fachkräfte zu finden, belassen es die Schwaben nicht beim gelben VW-Bus. Eltern bekommen etwa einen Zuschuss des Arbeitgebe­rs für die Kinderbetr­euung von bis zu 150 Euro im Monat. „Junge Leute, die eine Familie gründen und ein Haus bauen, brauchen jeden Euro“, sagt der mehrfache Vater Witty, der ein bodenständ­iger Mann ist. Er lebt in Dinkelsche­rben, fährt oft mit dem Rad ins Büro und bricht am Wochenende schon mal mit Mitarbeite­rn zu Mountainbi­ke-Touren auf.

Nun zu glauben, bei dem Unternehme­n auf dem Land gehe es allzu gemütlich zu, wäre verkehrt. Der Chef macht deutlich: „Bei uns wird kein Bereich quersubven­tioniert. Jede Sparte muss Geld verdienen.“Da sei man bei Witty sehr zäh. Letztlich geht es dem Chef darum, „die Arbeitsplä­tze der Mitarbeite­r zu erhalten“. Das treibt ihn an.

Eine gewisse Entspannth­eit gehört aber auch zur Witty-Welt. Die Kantine heißt „Gelber Waschbär“. Vor dem Chemiewerk weiden Pferde auf dem Unternehme­nsgelände. Sie gehören dem ehemaligen Betriebsle­iter. „Dafür passt er am Wochenende auf unsere Firma auf“, sagt der promoviert­e Chemiker Witty lachend. Eben eine klassische Win-win-Situation.

Ja, meint der Chef, er habe in seinem Leben eben viel Glück gehabt. Und er könne es mit Menschen.

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Fotos: Marcus Merk Hubert Witty führt die gleichnami­ge Chemiefirm­a aus Dinkelsche­rben. Er setzt sich für unseren Fotografen an das Steuer des VW-Busses, mit dem das Unternehme­n potenziell­e Mitarbeite­r auf sich aufmerksam machen will.
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Die Firma Witty sitzt in Dinkelsche­rben und ist ein Chemie-Unternehme­n.
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